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Drei Frauen im R4

Drei Frauen im R4

Titel: Drei Frauen im R4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Weiner
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groß und stark.
    »Hab ich im Kindergarten gelernt«, erklärte Nele mir liebevoll ihre Abrolltechnik. »Was denkst du, wie oft es einen da aus den Socken haut.«
    Damit brachte sie mich zum Lachen, was nicht gut war, weil mir dabei alles wieder weh tat. »Wir waren grandios, bombastisch, affengeil«, platzte es aus Nele heraus, und ich beobachtete staunend, wie immer noch Münzen und sogar Scheine in den Hut flogen. Ich war glücklich, weil eigentlich alles, bis auf meinen kleinen Ausfall, so prima geklappt hatte. Schnell versuchte ich, die Bilder meiner Gleichgewichtsstörung zu verdrängen, damit sie nicht größer als der Triumph wurden, den ich mir doch gerade erarbeitet hatte.
    »Na, wie isses?«, fragte Truckermutti Erika. Sie war von einem riesigen LKW , der neben dem Bahnhof den Schiffen gegenüber parkte, zurückgekehrt, und ein roter Unfallkoffer klemmte unter einem ihrer kleinen Arme.
    »Allet dabei!«, zeigte sie stolz die Ausrüstung. Dann riss sie mir hinterwärts den Rücken frei und balsamierte mich mit einer Salbe ein, die wie heiße Peperoni wirkte.
    »Sind in der Tube auf Krawall gebürstete Ameisen versteckt?«, jaulte ich erneut auf, als das Gift der Salbe meine Haut berührte.
    »Die heiße Mischung half schon den Azteken«, bestand Erika darauf, dass der Schmerz hier Teil der Heilung war. Ich nahm mir vor, die Heilung zuzulassen, weil mir so und so nichts anderes übrigblieb.
    Wie durch Watte hörte ich Renate die Internationale singen und konnte aber nicht überlegen, ob das nun gut oder schlecht war, sondern beugte mich einfach dem Ameisengift, das auf meiner Haut pulsierte.
    »Wenn ich eine Bühne hätte, ich würde euch sofort engagieren!«, brüllte ein dicker Mann mit Zigarre ganz laut in meine Richtung. »Super Idee, die Internationale nach Mama Leone zu singen, das ist ja mal gewagt!«
    »Mist, und ich kann mich nicht einmal bewegen«, ärgerte ich mich, dass ich hier auf dem Bänkchen saß, weit weg von meinem Applaus, und ich fürchtete mich schon jetzt davor, wie ich nachher in Fuchur passen sollte.
    »Mach dir keene Gedanken«, tröstete mich Erika. »Dich bringen wir schon heim. In meinem Wagenhäuschen hast du genug Platz, und wenn nicht, dann legen wir dich in einen Mercedes auf seinem Buckel.« Über meinen Kopf hinweg erzählte sie Nele von den gebrauchten Autos, die sie seit Jahren durch die Gegend fuhr. »Lauter gute Maschinen, die bei uns in Deutschland niemand mehr will. Früher hab ich in einer Kantine ausgeholfen, dann hab ich den großen Führerschein gemacht, und seitdem«, sie zeigte auf das gestickte Emblem auf ihrer Jacke, »bin ich für die Jungs die Truckermutti.«
    Zusammen mit Nele fasste sie mich unter, und beide schleppten mich, die Füße hinterherschleifend, in Richtung LKW , damit ich mich auf der Bank im Fahrerhäuschen ausstrecken konnte.
    »Super Teil, das ihr fahrt«, freute sie sich, als Nele ihr unseren Fuchur zwischen den Bussen zeigte. »Das sind noch echte Wagen. Wusstet ihr, dass es Studenten gibt, die damit noch heute bis nach Marokko fahren?« Und lang und breit erzählte sie von einer Wüstenrallye, bei der dreitausend R4 wie Käfer über die Dünen jagten. »Genial!«, freute sie sich laut. »Und immer noch mit den alten Motoren. Was hört ihr denn so auf eurer Fahrt?«, erkundigte sie sich, als wir endlich bei dem Laster waren. Mit mir hatte schon lange kein Mensch mehr gesprochen, und halb im Koma, wie ich war, genügte es mir, dass ich die strahlende Renate sah und ahnte, dass ich gleich eine Liege unter meinem Hintern hatte. »Jodelfunk?«, interessierte sich die Truckermutti weiter und zeigte auf unsere Zehenlatschen und die Röcke, die wir trugen. »Oder Juliane Werding oder was man da so hört?«
    »Nicht ganz.« Nele ging auf die leichte Provokation nicht ein und dirigierte mich fürsorglich in den Wagen.
    »Bei mir läuft nur Truckermusik«, verkündete Erika und schmiss sofort ihr Lieblingslied von Jonny Hill Ruf Teddybär eins-vier in ihrer Jukebox an. Das Lied schien aus allen Winkeln zu dröhnen, und mit einer Hand am Herzen, als wäre sie Frau Napoleon, sang Erika das Lied der sentimentalen Trucker mit und heulte sofort ein paar Tränen los.
    »Ach, bei dem Lied lauf ich immer über«, schniefte sie und putzte sich die Nase. »Weil isch halt doch eigentlisch ’ne Weichwurst bin«, lächelte sie dazu. In diesem Moment wusste ich, dass Erika ein Herz hatte, das so groß war wie der Vierwaldstättersee und der Zürichsee zusammen,

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