Drei Frauen im R4
im heißen Öl, um eine Bandage für mich zu machen. Schon wieder! Wurde ich denn diese Wickel niemals los? Es tat höllisch weh, als der heiße Stoff meine Haut berührte, und gemeinsam mit den Ameisen, die mir zeitgleich über den Rücken krabbelten, ergab die Sache einen glühenden Sud, der in chinesischen Restaurants eine echte Köstlichkeit gewesen wäre. Sogar der Schmerz nahm vor diesem Gemisch Reißaus. Ich merkte, wie sich meine Rückenmuskulatur entspannte, und befolgte Neles Rat, immer hübsch zum Vulkan hin zu hecheln, wie sie es damals bei Sarahs Geburt gemacht hatte. In der Spirituellen Hebamme fand sie zusätzlicheAffirmationen, welche diese Entspannungsmethode unterstützten.
»Atme bewusst, leicht und mit all deiner spirituellen Energie zu deinem Beckenboden hin, zu deinem Kind.« Kurze Pause. Das klang wie der VW-Ratgeber, den es Mitte der 80er bei Zweitausendeins gegeben hatte und den jeder mit einem alten Auto im Regal hatte. Neles Augen flatterten unsicher über den Text des Ratgebers hinweg. Sie senkte das Buch in ihren Schoß. »Das sind doch wehenähnliche Schmerzen, die du hast, oder?«, erkundigte sie sich nachdrücklich.
»Weiß ich nicht«, atmete ich so konzentriert weiter, wie mir das augenblicklich möglich war. »Aber wenn es Wehen sind, dann schlüpft gerade ein Nilpferd aus mir heraus.«
Ich gab mir wirklich Mühe, aber da ich fast überall Schmerzen fühlte, wusste mein Atem nicht so recht, wohin er sich spirituell bewegen sollte. Entsprechend nervös irrlichterte er verloren durch die Gänge meines Leibes und suchte verzweifelt einen Platz, auf dem er sich entspannen konnte. Gebären musste ganz schön schwierig sein, und Renate hatte das gleich drei Mal mitgemacht. Obwohl ich damals bei der Geburt von Anna mit dabei gewesen war, hatte ich diese Anstrengung nicht so mitbekommen und mich eher mit der Topfpflanze in der Besuchernische unterhalten, die da so allein und vertrocknet stand. Gebären wurde in den 80ern als natürlicher Vorgang erkannt und damit aus dem Dunst der »Krankheit« befreit. Das hatte den Gebärenden einiges abgefordert, wie ich jetzt fühlte. Topfpflanzen dagegen waren unterdrückt. Aus dieser Haltung heraus hatte ich also politisch und spirituell ganz korrekt mit dem Alpenveilchen meditiert.
»Es tut mir leid, dass ich dich damals so hängengelassen habe«, stöhnte ich zu Renate hin.
»Kein Problem«, antwortete sie mir, weil Renate, auch wenn sie es nicht gleich versteht, erst mal alles dankbar annimmt, was sich ihr bietet.
»Weißt du«, beugte sie sich über mich, »dein Auftritt war brillant. Wir waren alle gut, aber du warst der Kracher. Es hat sich richtig gelohnt, und nachher, wenn es dir bessergeht, legen wir uns in die Sonne und zählen, was zusammengekommen ist!«
O ja!
Wir waren Helden. Wir waren Heldinnen.
Wir waren Blutsschwestern.
Wir waren einzigartig.
Aber mein Rücken war ruiniert.
»Hast du noch mitbekommen, was der eine Zuschauer rief?«, flüsterte Nele mir ins Ohr und legte sich an meine Seite. »Der hat es gleich erkannt. Du musst auf die Bühne, und dabei ist es doch unwichtig, ob es tausend Zuschauer sind oder nur ganz wenige. Wichtig ist nur, dass diesem Zuschauer dein Auftritt gefällt. Und wenn das klappt, dann bist du schon viel weiter als viele andere Schauspieler auf dieser Welt. Denn du«, erinnerte sie mich und küsste mir die schmerzverzerrte Stirn, »hast schon zwei Fans. Ist das nicht grandios?«
»Drei!«, berichtigte ich gerührt und schloss vor Schmerz die Augen, was auch gut war, weil Fips angesprungen kam, um mir feuchtwarm das Gesicht zu lecken. Glücklich und müde glitt ich in einen erschöpften Halbschlaf. Wir hatten es geschafft, auch wenn es mich von der Bühne gefegt hatte. Und mit dem Geld, ich versuchte eine Summe zu erahnen, würden wir auf jeden Fall bis nach Forli und wieder nach Hause kommen, wenn wir wie bisher die Autobahnen mieden und die nächsten Nächte in Wald und Wiese campen würden. All das war für mich o. k., und ich war weit weg von der Frau, die am ersten Tag der Reise gezetert und sich geziert hatte. »Ihr habt mich ganz schön gehirngewaschen«, murmelte ich traumverloren. »Und es macht mir nicht mal etwas aus!«
In Forli, träumte ich, würde ich meinen geschundenen Rücken ins warme Heu legen, und Kräuterkundlerinnen und alternative Späthippies würden uns mit selbstgemachtem Olivenbrot, fußgerolltem Ziegenkäse und schwerem roten Wein bewirten. Unsere Mission, die Reise
Weitere Kostenlose Bücher