Drei Frauen im R4
schwitzte eine Spur zu viel. Vielleicht war auch gar nicht ich oder meine körperliche Erschöpfung schuld an dem, was später passierte, denn es war sehr heiß, viel heißer, als es bisher auf unserer Reise gewesen war. Das Thermometer zeigte schon längst über zwanzig Grad, und die Sonne baumelte an einem Himmel, der so leuchtend blau war, wie das nur in der Schweiz und über Bergen möglich ist. Die Blumen, die in den Beeten rund um die Tickethäuschen standen, reckten die Köpfe in die Sonne, und die weiße Flotte der Ausflugsdampfer hatte munter ihre bunten Fähnchen gehisst. Es war ein Tag zum Heldinnenzeugen, und möglicherweise war ich sogar die Heldin, um die es bei dieser Zeugung ging. Obwohl mir schon leicht schummerig war, presste ich die letzte Kraft aus mir heraus und wollte alles geben, und zwar jetzt und sofort.
»Vor den Zähnen singen, Arsch bewegen!«, fokussierte ich mich immer wieder neu und warf meine Beine vor mir hoch, als gelte es, einen Cancan auf Nenas 99 Luftballons zu tanzen. Am Rücken spürte ich kleine Schweißbächlein, die sich nach unten schlängelten. Und dann, nach den Luftballons und für mich an der völlig falschen Stelle, spielte Renate, warum auch immer, unpassend einen Gospel an.
Kindergottesdienst, erinnerte ich mich, das war die Sache mit dem Kindergottesdienst. Geschwind zog ich mir den Ausschnitt hoch.
Ich war überrascht, wie schnell Go tell it on the mountain das Publikum in Rage brachte, der Song, den wir als Jugendliche immer mit Kumm, verzähl es doiner Parguhr ins beste Pfälzisch übersetzt gesungen hatten. Jetzt blieb ich schön der Originalfassung treu und fühlte mich berauscht von all der Begeisterung, die uns entgegenschwappte.
Unser Auftritt war ein voller Erfolg. Grandios! Meine Ohren bekamen nicht genug von dem Klang der Münzen, die in unseren Hut geworfen wurden. Es glitzerte nur so aus ihm heraus. Übermütig schlug ich im Takt das Tamburin dazu und versuchte dabei meine Choreographie der ausgelassenen Stimmung noch deutlicher anzupassen. Rechter Fuß vor, Hüfte nach, links vor, Hüfte nach, umdrehen, mit dem Hintern wackeln, umdrehen, mit dem Busen wackeln, ins Publikum zwinkern, lachend zu Nele schauen, lachend zu Renate schauen, »Oh happy day!!« rufen, wieder von vorne, rechter Fuß vor, jetzt aber zweimal mit der Hüfte wackeln und so weiter. An irgendeiner Stelle musste ich auch den Bauch einbauen, das war mir klar, aber ich scheute mich davor. Wenn Wolfgang mir beim Liebesspiel hineinbiss, dann verstand ich das nicht immer als ein Kompliment.
»Zugabe! Zugabe!«, riefen uns die Menschen zu, immer wenn es so aussah, als würden wir unser Spiel beenden, doch genau das hatten wir noch lange nicht vor. Allerdings wird man für das Publikum interessanter, wenn man auf Wünsche nach einer Zugabe reagiert, als wenn man von einem Hit zum anderen eilt. Renate schrummte die Gitarre, wie es Keith Richards nicht besser konnte, und Nele schien mit ihrer irischen Metallflöte fast wie verwachsen. Je länger wir spielten, desto sicherer schien sie auf diesem Instrument zu werden. Mittlerweile hatten wir das Terrain der 80er verlassen und sangen alles, was irgendwann einmal ein Hit oder wenigstens hitverdächtig gewesen war. Jetzt galt es, unser Publikum zu halten. Mit den meisten Liedermacherhits und dem Rock der 80er war das allerdings nicht möglich, man denke nur an Ludwig Hirsch und sein Komm, großer schwarzer Vogel oder die Doors und ihr The end , das immer unser Silvesterlied gewesen war. Auch mit Neil Young rissen wir die Menge nicht vom Hocker, und Konstantin Weckers Sag nein! oder der Willi waren auch nicht unbedingt Lieder, zu denen man fröhlich klatschen wollte. Das musste Nele auf den Plan gebracht haben. Ihr Versuch, auf einem Bein und mit schiefer Metallflöte an den Lippen Ian Anderson von Jethro Tull zu imitieren, misslang komplett. Diese Darbietung wurde von unserem Publikum jedoch ungeschickterweise als Sketcheinlage goutiert, was nicht gut war, weil Nele bei Rückmeldungen tendenziell empfindlich ist. Mehrmals wackelte sie gefährlich hin und her und war dadurch gezwungen, ihren Soloauftritt abzubrechen. Sie stolperte beängstigend, aber zäh, wie sie nun mal ist, blieb die Metallflöte trotz ihrer Gleichgewichtsstörungen immer fest an ihrem Mund. Es war gigantisch. Und je mehr das Publikum außer sich geriet und sich mitbewegte, desto mutiger wurde ich, auch aus der Idee heraus, Nele in der Situation zu helfen.
»Jetzt Lady Bump
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