Drei Frauen und los: Roman (German Edition)
miteinander. Manchmal redet sie, manchmal nicht, aber wenn sie geht, ist ihre Anspannung fort. Ihr Gesicht ist merklich weicher, und die Falte zwischen den Augenbrauen ist ebenso verschwunden wie der ständig finstere Blick. Sie schläft besser und muss nicht jede Nacht eine Tablette nehmen. Das Treten und Um-sich-Schlagen hat aufgehört. Sie bekommt mehr Trinkgeld. Noch lächelt und plaudert sie nicht so lebhaft wie Tracee, die von jedem weiß, was er beruflich macht, wie viele Kinder er hat oder ob seine Freundin ihn betrügt, aber zumindest donnert Lana den Pitcher nicht mehr auf den Tisch, um die Gäste mit Bier zu bespritzen.
Und das alles durch die Macht von Marcel.
Sie erzählt ihm, was ihr so einfällt. Dass sie mit ihrem Vater Schach gespielt hat, dass ihr Vater ihr ein Lied über einen Zug beigebracht hat, »When the Choo Choo Chugs to Cheshire.« Sie singt es Marcel vor: »Chugging off to Cheshire, glad that I’m aboard.« Sie erklärt ihm, dass Cheshire in England liegt und dass ihr Vater Miniatureisenbahnen gebaut hat. »Seine waren die schönsten. Auf den Treffen hat das jeder gesagt.«
Sie führt jede Lüge auf, die sie ihrem Vater erzählt hat. Es ist eine endlose Liste banaler Sätze wie: »Ich gehe Pizza essen«, »Ich war in der Bibliothek«, »Ich höre mich so fertig an, weil ich die ganze Nacht gelernt habe«, »Ich brauche Geld für Bücher«. Ein andermal tobt sie: »Wenn es einen Gott gibt, warum hat er dann Tracee solche Versager als Eltern gegeben? Wo war er, als meine Mom abgehauen ist?«
Zum ersten Mal in ihrem Leben spricht sie laut aus, was sie quält seit jener angstvollen Nacht, in der ihre Mutter in ihr Zimmer stürmte. »Als sie ›Ich hasse dich‹ gesagt hat, ging das gegen meinen Vater, oder meinte sie mich? War ich der Grund dafür, dass sie gegangen ist?«
»Ich weiß gar nicht, warum du Rita mehr magst als mich«, sagt sie eines Morgens zu Marcel, als er in seine weiße Höhle tappt und sie in den leeren Raum hineinreden lässt. Sie lacht. Eigentlich stört es sie nicht, wenn er sie wä hrend ihrer gemeinsamen Stunde überhaupt nicht beachtet oder am anderen Ende des Käfigs nahe der Küche steht, weil er weiß, dass Rita sich dort aufhält. Es tut ihr gut, einmal nicht der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu sein. Sie muss es akzeptieren. Sie verspürt weder Eifersucht noch ein Gefühl der Vernachlässigung, wenn sich Marcel nach Lanas Sitzung, sobald er Rita sieht, auf die Hinterbeine setzt und an die Käfigstangen drückt, damit sie ihm die Brust kraulen kann. Meistens ist er aufmerksam und hört, so scheint es Lana, genau zu. Was auch immer er macht, sie spürt, dass er sie annimmt, ihr das Privileg seiner Gesellschaft zugesteht, ihr seine beruhigende Kraft gibt.
Lana hat Marcel nicht alles gestanden, zumindest nicht, soweit es ihren Vater betrifft, aber ihr Herz ist leichter geworden. Irgendwann zitiert sie am Ende der Stunde das Gelassenheitsgebet: »Marcel, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.«
Nach diesen Worten ist Marcel stiller, als sie ihn je erlebt hat, und im Stillsein ist er große Klasse.
*
Tracee will die Sache mit der Diamanthalskette klären. Aber wie? Bisher hat immer Lana ihre Probleme gelöst, doch Lana weiß nichts von der Kette, und Tracee hat Angst, ihr davon zu erzählen, trotz Lanas neuerdings etwas freundlicheren Verhaltens, dem sie noch nicht traut. Auf die einfache Idee, zur Polizei zu gehen, kommt sie nicht. Sie sucht nach einer Lösung, die dafür sorgt, dass die Sache gar nicht erst passiert ist. Die sie – puff! – wie durch Zauberkraft verschwinden lässt.
Wenn Tim von dem Diebstahl wüsste, würde er sie verlassen.
Davon ist sie überzeugt, denn eines Nachts erzählt ihr Tim, nachdem sie sich geliebt haben, von seinem Vater, der durch einen bizarren Unfall während einer militärischen Übung ums Leben kam. »Er hieß Kyle«, sagt Tim. »Kyle Shane Wilson.«
»Cooler Name«, sagt Tracee.
Sie spielt mit seinen Haaren. Sie liebt die weichen Locken, die so verdreht sind. Sie genießt es, nackt dazuliegen, Haut an Haut, obwohl Tim unersättlich ist und normalerweise schon nach ein paar Minuten Kuscheln wieder einen Steifen bekommt. »Kennst du Clayton über deinen Dad?«, fragt sie.
»Er war immer so eine Art Onkel für mich und hat sich um mich gekümmert. Vor der Armee hat mein Vater in
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