Drei Hände Im Brunnen
riet mir Martinus.
»Danke«, sagte ich.
Ich war als Nächster dran. Es gelang mir, mich nicht zu blamieren, obwohl die Sprossen schmal waren und viel zu weit auseinander lagen. Kaum war ich losgeklettert, begannen meine Wadenmuskeln zu protestieren. Mit jedem Schritt schwankte die ganze dürftig zusammengestoppelte Leiter.
Anacrites hüpfte nach mir rein und wirkte so, als hätte er sein halbes Leben auf wackligen Leitern verbracht. Ein Schlag auf den Kopf hatte ihn jeglicher Empfindsamkeit und Vernunft beraubt. Martinus’ Bursche folgte, und wir standen vorsichtig in der Pechschwärze herum und warteten darauf, dass die Fackeln zu uns heruntergelassen wurden. Wahrscheinlich hätte ich Anacrites unbemerkt ins Wasser stoßen können. Ich war zu beschäftigt, um daran zu denken.
Die Luft war kühl. Wasser – oder Wasser und andere Substanzen – rauschte an unseren Füßen und Knöcheln vorbei und vermittelte uns, so kalt, wie es war, das falsche Gefühl, dass unsere Stiefel nicht dicht wären. Ein gerade noch erträglicher, aber deutlicher Abwassergeruch umgab uns. Wir fragten den Vorarbeiter, ob offene Pechfackeln hier unten wegen der eventuellen Gase nicht gefährlich seien. Er meinte fröhlich, es käme nur selten zu Unfällen. Dann erzählte er uns von dem in der vergangenen Woche.
Als die Fackeln angezündet wurden, konnten wir sehen, dass wir uns in einem langen gewölbten Tunnel befanden, der zweimal so hoch war wie wir. Er war mit Zement ausgekleidet, und an unserer Einstiegsstelle reichte uns das Wasser gut bis ans Schienbein. In der Mitte war es dank des Gefälles ein reißender Strom. Im Flachwasser an den Rändern sahen wir braune Wasserpflanzen, die durch die hier langsamer fließende Strömung alle in eine Richtung gezerrt wurden. Der Boden war wie eine Straße gepflastert, aber es gab viele Ablagerungen, manchmal Geröll und Steine, manchmal sandige Flecken. Das Licht der Fackeln war nicht stark genug, uns unsere Füße richtig sehen zu lassen. Der Vorarbeiter ermahnte uns, aufzupassen, wo wir hintraten. Direkt danach trat ich in ein Loch.
Wir wateten auf eine Biegung im Tunnel zu. Das Wasser wurde tiefer und beängstigender. Wir kamen am Eingang eines schmalen, momentan trockenen Zuflusses vorbei. Wir befanden uns tief unter dem Forum Romanum. Das ganze Gebiet war einst ein Sumpf gewesen und nach wie vor ein natürliches Feuchtgebiet. Die prächtigen Monumente über uns streckten ihre Giebel in die brennende Sonne, hatten aber feuchte Grundmauern. Mücken plagten den Senat; auswärtige Besucher, die nicht immun dagegen waren, erlagen bösartigen Fiebern. Vor siebenhundert Jahren hatten etruskische Ingenieure unseren primitiven Vorfahren gezeigt, wie man den Sumpf zwischen dem Kapitol und dem Palatin trockenlegen konnte – und ihre Arbeit hatte immer noch Bestand. Die Cloaca Maxima und die Abwasserleitung unter dem Circus sorgten dafür, dass das Zentrum Roms bewohnbar blieb und seine Institutionen arbeitsfähig. Die Kloaken nahmen stehendes Wasser und Oberflächenwasser auf, das überfließende Wasser der Brunnen und Aquädukte, Abwasser und Regenwasser.
Und letzte Nacht hatte ein Dreckskerl einen Kanaldeckel aufgewuchtet und einen menschlichen Kopf reingeschmissen.
Höchstwahrscheinlich den von Asinia. Ihr Schädel war auf einer Sandbank gelandet, deren feiner brauner Treibsand in die flache Strömung hinausragte.
Der Kopf war in zu schlechter Verfassung, um ihn eindeutig identifizieren zu können, obwohl noch etwas Haar und Gesichtshaut übrig geblieben war. Ratten hatten sich in der Nacht darüber hergemacht. Ich war bereit, trotzdem eine Identifizierung vorzunehmen. Es gab noch andere dunkelhäutige Frauen in Rom, aber soweit ich wusste, war nur eine davon vor zwei Wochen verschwunden.
Wir konnten den Zeitpunkt ziemlich genau eingrenzen – dieser Schädel war letzte Nacht in die Kloake geworfen worden. Man sagte uns, die Staatssklaven hätten erst gestern diesen Abschnitt des Kanals gesäubert und dabei nichts entdeckt. Der Schädel musste reingeworfen worden sein, kurz bevor oder kurz nachdem sich der Mörder des Torsos entledigt hatte. Die Kloake führte nicht genug Wasser, um den Torso in den Tiber geschwemmt zu haben. Außerdem war er stromaufwärts von der Einmündung gefunden worden. Er musste direkt in den Fluss geworfen worden sein, entweder von der Uferstraße oder über das Geländer einer Brücke, vermutlich des Pons
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