Drei Hände Im Brunnen
nur vage Vermutungen hatten. Als es etwas ruhiger wurde, präsentierte sie mir ihre Schlussfolgerungen.
»Die Art der Verbrechen, insbesondere die Verstümmelungen, von denen Lollius dir erzählt hat, deuten darauf hin, dass ihr nach einem Mann sucht.
Der Mörder könnte jeder sein, Senator oder Sklave. Das Einzige, wovon ihr mit Sicherheit ausgehen könnt, ist, dass er nicht verdächtig aussieht. Wenn er das täte, wäre keine der ermordeten Frauen je mit ihm gegangen.
Ihr wisst etwas über sein Alter – diese Morde reichen Jahre zurück. Wenn er nicht schon in der Wiege damit angefangen hat, muss er in mittlerem Alter oder älter sein.
Petro und du, ihr denkt beide, dass er ein Einzelgänger ist. Wenn er mit jemandem zusammenarbeiten würde, hätte der eine oder der andere in all dieser Zeit entweder einen Fehler gemacht oder etwas ausgeplaudert. Das liegt in der menschlichen Natur. Je mehr Leute damit befasst sind, desto größer ist die Möglichkeit, dass sich einer betrinkt, von seiner Frau ausspioniert wird oder aus einem völlig anderen Grund die Aufmerksamkeit der Vigiles erregt. Gemeinsames Wissen lässt sich nicht so leicht unter Verschluss halten. Also geht ihr davon aus, dass es ein Einzelner ist.
Ihr glaubt, dass er Schwierigkeiten hat, soziale Kontakte herzustellen. Die Art der Verbrechen lässt darauf schließen, dass das Motiv sexuelle Befriedigung und Erregung durch Rache ist.
Wenn Bolanus mit seiner Vermutung Recht hat, dass der Mörder außerhalb Roms lebt – was du nach wie vor in Betracht ziehst –, dann muss er über ein Transportmittel verfügen. Demnach werden Frauen wie Asinia in der Nähe des Circus entführt und woanders hingebracht. Ob sie dann noch leben oder bereits tot sind, wissen wir nicht.
Er kann mit einem Messer oder Dolch umgehen. Er muss gut in Form sein. Menschen zu überwältigen, sie zu zerstückeln und ihre Leichen zu schleppen erfordert körperliche Kraft.
Er muss irgendwo leben, wo er nicht beobachtet wird. Oder er hat zumindest Zugang zu einem geheimen Versteck. Dort kann er in Ruhe töten und was er sonst noch macht. Er kann die Leichen verwahren, während er sich ihrer Stück für Stück entledigt. Er kann sich und seine blutbefleckte Kleidung waschen, ohne dass er von jemandem bemerkt wird.
Das klingt alles recht detailliert«, sinnierte Helena, während sie das Bild für mich vollendete. »Aber es reicht nicht, Marcus. Am dringendsten müsst ihr wissen, wie er aussieht. Es muss doch Frauen geben, die ihn beschreiben können, auch wenn ihnen offensichtlich nicht klar ist, wer er ist. Er kann nicht jedes Mal Erfolg haben. Er muss Frauen angesprochen haben, die ihn nicht beachtet oder ihm eine Abfuhr erteilt haben. Vielleicht gibt es sogar ein Mädchen, das ihm entwischt ist, als er es entführen wollte.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es hat sich niemand gemeldet. Nicht einmal auf Petros berühmten Anschlag am Forum hin.«
»Zu verängstigt?«
»Eher schon, weil ihnen gar nicht aufgegangen ist, dass das Ekel, dem sie entronnen sind, der Aquäduktmörder sein könnte.«
»Sie würden ihn melden«, entschied Helena. »Männer, die einen Straßenräuber abwehren, schnauben nur und sagen: ›Ha! Soll er doch andere in Angst und Schrecken versetzen!‹, aber Frauen machen sich Sorgen darüber, ihre Geschlechtsgenossinnen einer solchen Gefahr auszusetzen.«
»Frauen haben eine Menge Einbildungskraft«, sagte ich düster. Aus irgendeinem Grund lächelte sie.
Ich merkte, dass ich das Publikum in meiner Nähe beobachtete. Ich entdeckte keinen Mörder unter ihnen, aber meinen alten Zeltkameraden Petronius Longus. Er saß nur ein paar Reihen von uns entfernt und sprach ernsthaft mit seiner Begleiterin über das nächste Rennen. Wie ich ihn kannte, erklärte er ihr, dass die Grünen eine Katastrophe waren, die einen Streitwagen nicht geradeaus lenken konnten, selbst wenn sie das ganze Marsfeld dafür hätten, wohingegen die Blauen in ihrer stilvollen, stromlinienförmigen Aufmachung mit allen anderen den Boden aufwischen würden.
Ich stieß Helena an, und wir lächelten beide. Aber wir waren auch traurig. Was wir da beobachteten, würde vermutlich ein immer selteneres Ereignis werden: Petronius, der die Gesellschaft seiner siebenjährigen Tochter genoss.
Petronilla hörte ihm aufmerksam zu. Seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte, war das Babyhafte an ihr verschwunden, und sie war zu einem
Weitere Kostenlose Bücher