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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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ein wenig über die Rückkehr Peróns nach Argentinien Bescheid?«
    »Nein. Tut mir Leid.«
    Er trank einen Schluck Bier und überlegte einen Augenblick. Dann schüttelte er den Kopf, als habe er es sich anders überlegt, sprach dann aber doch weiter.
    »Perón kam 1943 durch einen Putsch an die Macht …«, begann er, »… und nutzte die Gewerkschaften, um im Volk Rückhalt zu gewinnen. Er trat als sozialistischer Wohltäter auf, richtete Ferienkolonien für Arbeiter ein, verschenkte Nähmaschinen an Arbeiterfamilien und so weiter. Gleichzeitig baute er einen Polizei- und Spitzelstaat auf und unterdrückte jede Opposition. Er schuf eigentlich schon die Voraussetzungen für die späteren Terrorregime. 1955 wurde er entmachtet und floh nach Spanien ins Exil. In Argentinien löste eine Militärregierung die andere ab, aber keine konnte letztlich die inneren Widersprüche des Landes lösen.«
    »Welche Widersprüche?«
    »Die Immergleichen. Arm und Reich. Es gibt keine funktionierende Demokratie und daher auch keine halbwegs gerechte Verteilung. Argentinien ist eine Art Kolonie. Und dass es so bleibt, dafür sorgt das Ausland.«
    »Welches Ausland?«
    »Die USA , Frankreich, England, Deutschland, die Industrienationen eben. Das Muster ist immer gleich: man kauft die Eliten und erhält dafür das Recht, hemmungslos die Bevölkerung und das Land zu plündern. Wenn die Bevölkerung sich wehrt, dann liefert man den Eliten die Waffen, um die Bevölkerung in Schach zu halten.«
    »Das klingt mir zu simpel«, sagte Giulietta.
    Heert war irritiert. Aber er fing sich. »Giulietta, die Ungerechtigkeit in diesem Land ist so himmelschreiend, dass sogar die nicht gerade fortschrittlich eingestellte katholische Kirche dagegen zu protestieren begann, freilich ohne viel Erfolg. In den siebziger Jahren war ja überhaupt keine vernünftige politische Diskussion möglich. In Lateinamerika herrschte Krieg.«
    »Das hast du vorhin schon gesagt. Wie meinst du das?«
    »Jede Forderung nach sozialer Gerechtigkeit wurde von den Industriestaaten sofort als kommunistische Unterwanderung gebrandmarkt. Die USA und im Schlepptau die europäischen Staaten betrachteten jede soziale Bewegung in Lateinamerika als kommunistischen Umsturzversuch. Die Amerikaner wollten natürlich kein zweites Vietnam erleben. Also änderten sie ihre Strategie. Anstatt Truppen zu schicken, schickten sie Militärberater und inszenierten Staatsstreiche. Low Intensity Warfare nannte man das. Gezielter Terror gegen alles, das irgendwie links aussah. Du darfst die geopolitische Situation nicht vergessen. Der Kalte Krieg hatte sämtliche Gehirne vernebelt. Das war ja in Deutschland auch nicht viel anders. Wann bist du geboren?«
    »1979.«
    »Ja. Das hast du alles nicht erlebt. Die siebziger Jahre. Alles war polarisiert. Es gab ja nur zwei Lager. Ost und West. Was auch nur den Anschein von Kommunismus hatte, war damals des Teufels.«
    Er unterbrach sich und massierte sich kurz die Schläfen. Giulietta wunderte sich über den Holländer. Sie hatte ihn ganz falsch eingeschätzt. Aber bevor sie weiterdenken konnte, fuhr er schon fort.
    »1973 gewann ein Peronist die Wahlen in Argentinien und leitete die Rückkehr Peróns ein. Perón wurde vom Volk wie ein Heiliger verehrt. Alle identifizierten sich mit ihm, die Linken, die Rechten und natürlich die Armen. Noch bevor Perón im Land eintraf, kam es am Flughafen zu Schießereien zwischen den verschiedenen politischen Gruppen. Es gab zweihundert Tote. Das Flugzeug musste auf einem anderen Flughafen landen. Nur damit du einen Eindruck von der Situation bekommst. Perón schlug sich auf die Seite des rechten Flügels. Die Linke fühlte sich verraten und antwortete mit Terroranschlägen. Perón ließ seinen Geheimdienst gewähren, die berüchtigte Triple A. Hast du davon schon gehört?«
    »Nein.«
    »Alianza Anticomunista Argentina. Das waren staatliche Killerkommandos. Die Triple A operierte zwar unter staatlichem Schutz, aber letztendlich waren ihre Methoden genauso terroristisch wie die der Terroristen, die sie bekämpfen sollten. Plötzlich gingen Todeslisten in der Stadt herum. Verfasser unbekannt. Die Presse druckte das auch noch. Die Betroffenen, meist Gewerkschaftsführer, Journalisten, Professoren oder Juristen konnten in der Zeitung lesen, dass sie zum Abschuss freigegeben waren, und hatten die Wahl, Hals über Kopf das Land zu verlassen oder entführt und umgebracht zu werden.«
    »Und dabei kam es zu diesen grässlichen

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