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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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war rauchig und etwas leise, ihr Alter schwer zu schätzen.
    »Gerne einen Tee«, antwortete Giulietta. »Lernen viele Leute Tango?«
    »Hmm, immer mehr.« Dann fügte sie hinzu: »Ich war schon ziemlich neugierig auf dich.«
    Giulietta hob die Augenbrauen und wusste nicht so recht, was sie darauf antworten sollte. Damián hatte mittlerweile seine Tanzschuhe angezogen, ging zwischen den tanzenden Paaren umher und korrigierte hier und da ein wenig.
    »Weil euer Star mir den Hof macht?«
    Claudia schaute sie freundlich an und ignorierte die etwas reservierte Antwort.
    »Ich bin gut mit Lutz befreundet.« Sie reichte ihr den Becher nebst Teebeutel. »Er hat erzählt, wie du da in der Probe aufgetaucht bist. Weißt du, was er gesagt hat: so wie an diesem Tag hat er mich nie wieder erstochen. Als stünde Juliana leibhaftig in der Tür. Die Frau hat ihn auf Anhieb total umgehauen. Zitat Ende. Ich fand das toll. Zucker?«
    Sie setzte sich neben sie und schälte ihren Teebeutel aus der Verpackung. »Es geht mich ja nichts an. Es freut mich einfach. Wie im Film. Und ich bin furchtbar neugierig.«
    Giulietta lauschte auf jedes Wort. Die Frau war etwas direkt, wollte sie aber offenbar nicht provozieren oder verletzen.
    »Danke«, sagte sie und lächelte. »Diese Seite der Geschichte kannte ich noch nicht. Kennst du Damián schon lange?«
    »Drei Jahre. Seit ’96.«
    Giulietta fing sich. Sie wollte eine fremde Frau doch nicht über ihn ausfragen, aber die Versuchung war groß.
    »Und warum habt ihr ihn erst jetzt eingeladen?«
    »Vorher kam immer Hector, Damiáns Lehrer. Die beiden haben sich völlig zerstritten. Damián begann, selbst zu unterrichten, und es sprach sich schnell herum, dass er ein ausgezeichneter Lehrer ist. Die Schüler sind schließlich die Kunden, und die haben nach Damián verlangt.«
    »Und Hector …«
    »… kommt nicht mehr, solange wir auch mit Damián arbeiten. Es ist völlig albern, aber so sind sie eben. Der Markt hier ist an sich groß genug für mehrere Lehrer, aber nicht groß genug für zwei solche Egos.«
    »Lutz sagte schon, dass Damián in Buenos Aires nicht sehr beliebt ist. Aber es klang eher so, als läge das an seinem Stil.«
    »Tut es ja auch. Deshalb hat Hector ihn hinausgeworfen. Ein typischer Generationenkonflikt. Die Alten sind Puristen. Tango steckt voller Codes und Konventionen, die teilweise nur bedingt etwas mit dem Tanz zu tun haben, aber durch die Zeit einfach als unabänderlich gelten. Die jungen Tänzer hinterfragen das natürlich. Damián geht dabei noch weiter. Er karikiert bisweilen und das provoziert die alte Garde, vor allem weil er einer der Besten ist, die in den letzten Jahren hochgekommen sind.«
    »Und warum tut er das?«
    »Das weiß kein Mensch. Manchmal spinnt er einfach ein bisschen. Schau dir einmal an, was er da macht.«
    Giulietta blickte in den Übungssaal hinein. Die Schüler hatten einen Halbkreis gebildet, und Damián führte eine Schrittfolge vor. Hier draußen war nicht zu hören, was er sagte, aber die markanten Punkte des Bewegungsablaufes waren auch so eindeutig zu erkennen. Eine Schülerin assistierte ihm. Damián schob das Mädchen sanft vor sich her, führte dabei mit seinen Schuhspitzen zwischen den Schritten abwechselnd zwei kreisrunde Bewegungen auf dem Boden aus, was der ganzen Sequenz etwas Weiches, Flüssiges verlieh. Dann fiel er blitzschnell in eine Drehung, die ebenso abrupt stoppte und das Mädchen in einer dominanten Position beließ.
    »Das ist eine Schrittfolge von Luis Daroto. Jeder kennt sie – etwa wie die
Fischpose
im Dornröschen. Die Kombination heißt
Primera Junta
, ist nach einer Metro-Station benannt, wo Daroto den Schritt in grauer Vorzeit beim Warten auf die Metro erfunden haben soll. Luis Daroto war einer der ganz Großen. Er ist erst vor drei Jahren gestorben. Unter Tänzern ist er genauso berühmt wie Gardel.«
    »Gardel?«
    »Ja, Carlos Gardel.
Der
Tango-Sänger schlechthin. Es gibt in Buenos Aires fast kein Taxi, wo sein Foto nicht am Rückspiegel hängt. Aber jetzt schau dir den Schritt an, den Damián gerade zeigt.«
    Er wiederholte ihn mehrmals, hielt manchmal mittendrin inne und erklärte etwas, überbetonte eine falsche Bewegung, um die richtige sichtbarer zu machen, zeigte die korrekte Haltung des Oberkörpers und tanzte die Sequenz noch zweimal vor. Dann entließ er das Mädchen wieder in die Gruppe und knipste per Fernbedienung die Musik an. Die Paare unternahmen tastende Versuche, die Schrittfolge zu

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