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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Vater will mit dir sprechen. Er wird dir einiges erklären. Melde dich bitte bei ihm, wenn er angekommen ist. Versprichst du mir das?«
    »… aber Mama, … ich will nicht mit ihm sprechen, solange ich nicht mit Damián geredet habe … und ich kann ihn nicht finden … er ist einfach verschwunden … was hat Papa denn gesagt, verdammt noch mal … warum dieses ganze Theater?«
    »Giulietta, hör zu, Papa hat Fehler gemacht. Aber jetzt komm ihm etwas entgegen, ja? Ich bin sicher, dass sich alles klären wird. Hast du etwas zu schreiben?«
    »Ja«, log sie. Ihr Vater in Buenos Aires. In weniger als vierundzwanzig Stunden. Sie musste Damián finden. Heute noch. Wieso flog ihr Vater um die halbe Welt, um ihr etwas zu erklären, das er ihr mit Sicherheit auch am Telefon sagen könnte? Warum hatte er ihr das nicht letzte Woche gesagt?
    Ihr Vater. Frau Alsina. El loco.
    »Hast du’s?«
    »Ja.«
    »Er kommt um elf Uhr dreißig Ortszeit an, am Donnerstag. Er fliegt heute Abend von Paris, ich sehe ihn vorher nicht mehr, aber ich sage ihm, dass du angerufen hast und dich bei ihm im Hotel melden wirst, ja?«
    Da war es wieder: Dieses ungute Gefühl. Ihr schlechtes Gewissen. Aber vor allem verspürte sie Wut. Warum folgte er ihr hierher? Das war doch nicht normal.
     
    Claudia wusste auch nicht mehr als alle anderen. Die Telefon- und Faxnummer, die sie Lutz durchgegeben hatte, kannte Giulietta mittlerweile auswendig.
    »Trotzdem danke.«
    »Kein Problem«, sagte Lutz. »Wie findest du Buenos Aires?«
    »Heiß.«
    »Aha. Nun ja.«
    »Lutz, sagt dir das Wort
Lambare
irgendetwas?«
    »Lambada?«
    »Nein. LAMBARE .«
    »Ist das nicht dieses Dschungelkrankenhaus von Albert Schweitzer?«
    »Nein, das heißt Lambarene. Ich meine Lambare. Ist das ein Tango?«
    »Nie gehört. Wieso?«
    »Nur so. Hör zu. Mir ist noch etwas eingefallen. Charlie hat doch sicher die Videoaufnahme vom letzten Aufführungstag von
Julián y Juliana
, oder?«
    »Ich denke schon. Ja, wieso?«
    »Könntest du mir eine Kopie schicken?«
    »Eine Kopie vom Mitschnitt der letzten Aufführung?«
    »Ja.«
    »Nach Buenos Aires?«
    »Lutz, musst du immer alles wiederholen, was ich sage? Ja. Ich brauche das Video vom letzten Aufführungstag. Und bitte per Express. Ich gebe dir das Geld, wenn ich zurück bin. Kann ich mich darauf verlassen?«
    Sie hörte ihn schnaufen. Was sie nicht hörte, konnte sie sich vorstellen: seine gerunzelte Stirn und die stummen Gedanken: Zicke!
    »Also gut. Gibst du mir deine Adresse?«
    Als sie aufgelegt hatte, blieb sie noch einige Minuten untätig auf der gepolsterten Bank der Telefonkabine sitzen und schaute über den Marmorboden des weitläufigen Foyers. Auf dem Heimweg durchdachte sie die neue Situation, so weit ihre Müdigkeit das zuließ. Sie hatte sich geirrt. Sie hatte sehr viel weniger Zeit, als sie geglaubt hatte. Bereits am Donnerstag wäre ihr Vater in der Stadt. Sie musste Damián vorher finden. Aber wie? Und dann war da noch Frau Alsina. Die Nachricht auf ihrem Nachttisch war innerhalb der letzten Stunde nicht weniger rätselhaft geworden.
    … bitte rufen Sie mich an, soweit es Ihre Zeit erlaubt.
Hochachtungsvoll
Maria Dolores Alsina
    Es war ihr letzter Gedanke, bevor sie einschlief.
    Auch diese Frau hatte es eilig.

16
    D ie Idee war ihr beim Frühstück gekommen. Sie saß in einem Eckcafé neben ihrem Hotel und blätterte in der Tangozeitschrift. Sie musterte Lindseys Unterstreichungen und blieb immer wieder an der Annonce der
Casa Azúl
hängen. Heute würde Nieves dort unterrichten. Sie verbrachte fünf Minuten damit, ein Zuckertütchen in kleine Stücke zu reißen, behielt dabei jedoch ständig diese Anzeige im Auge. Es war der einfachste und direkteste Weg. Ihr Magen rebellierte schon jetzt gegen die Vorstellung, diese Frau zu treffen. Aber es gab keine andere Lösung. Sie musste dort hingehen.
    Als sie zwei Stunden später die geschwungene Steintreppe zum Tanzsaal der
Casa Azúl
hochstieg, hatte sie in ihrem Hotelzimmer ein halbes Morgentraining hinter sich gebracht. Sie fürchtete diese Begegnung und reagierte darauf, wie sie es gelernt hatte: durch aufrechte Haltung. Ihre Knie waren weich und ihr Magen schmerzte, als sie den Tanzsaal betrat, aber keiner der Anwesenden hätte davon etwas bemerkt. Außerdem kümmerte sich zunächst niemand um sie.
    Giulietta hatte nicht den Eindruck, dass es eine feste Gruppe war. Die Kursteilnehmer schienen sich gegenseitig nicht zu kennen. Die umlaufende Stuhlreihe war noch

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