Drei Schwerter für Salassar (Gesamtausgabe): Die Saga der Adamanten-Welt (German Edition)
Mensch und kein Drache!« wiederholte Desidera flüsternd. »Und in der heutigen Nacht will ich erschauen, was er wirklich ist - auch wenn mich sein Zorn trifft.
Ich will sein Angesicht sehen - und wenn ich diesen Augenblick mit allem bezahlen muss, was ich besitze!«
Ihre kleinen Finger klammerten sich um einen länglichen, seltsam geformten Gegenstand, den sie vor einigen Tagen in der Schmiede herstellen ließ. Der Schmied wusste nicht, was er nach dem Abdruck im Wachs tatsächlich aus Metall formte. Er ahnte nicht, dass es Desidera gelungen war, mit dem Wachs einen Abdruck des Schlosses zu schaffen, das Rasakos Schlafgemächer für fremde Eindringlinge sperrte.
Jetzt hielt das Mädchen eine ziemlich genaue Kopie des Schlüssels in ihrer Hand, und sie hatte am Tage schon festgestellt, dass dieser Schlüssel passte und sich die Tür zum privaten Refugium des Drachenlords problemlos damit öffnen ließ.
»Ich werde es schauen!« flüsterte Desidera zu sich selbst, um sich Mut zu machen. »Heute Nacht sehe ich das wahre Gesicht des Drachenlords . . .!«
***
Desidera war am Ziel. Hinter dieser mächtigen, mit Eisenplatten beschlagenen Tür aus schwerem, schwarzem Holz hatte der Drachenlord die Gemächer, in die er sich zum Schlaf zurückzog.
Die Dienerin von Coriella hörte, wie er gerade den Schlüssel drehte und die Tür für Unbefugte versperrte. Dann vernahm ihr scharfes Ohr das leise Klirren der Rüstung, als Rasako quer durch den Raum zu seiner Lagerstatt ging. Diesen Augenblick musste sie ausnutzen.
Geräuschlos steckte sie den Schlüssel in die Öffnung. Behutsam drehte sie ihn so, dass sich das Schloss ohne einen Laut öffnete.
Auf Zehenspitzen schob sich Desidera wie ein Schatten ins Zimmer. Der Drachenlord bemerkte sie nicht. Am leisen Klirren des Metalls spürte das Mädchen, wie Rasako das Visier des Helmes anhob.
»Ich werde es sehen!« pochte es wie rasend in Desideras Innerem. »Ich werde Rasakos wahres Gesicht erblicken!« Drei rasche Schritte und sie stand direkt hinter der hochgewachsenen Gestalt in der dunkelgoldenen Rüstung.
In diesem Moment geschah es.
Abrupt wandte der Drachenlord sich um. Seine rechte Hand riss das Visier empor, das sein Gesicht verdeckte.
»Büße, Frevler ... !« fauchte seine Stimme aus dem Helm heraus. Dann erkannte er Desidera und brach abrupt ab. Er wollte versuchen, das Visier des Helmes herunter zu reißen.
Aber es war zu spät.
Das Unheil hatte schon seinen Lauf genommen.
Aus dem geöffneten Helm sah das Mädchen einen Glanz wie bei einer überirdischen Erscheinung. Die Helligkeit blendete sie, ohne die Augen zu schmerzen. Ein Licht heller als tausend Sonnen und doch so mild, dass man wünschte, eins zu werden mit diesem Licht.
In überwältigender Majestät erkannte Desidera das Antlitz des Drachenlords.
War es das Gesicht eines Menschen? Das Antlitz eines Elfen? Oder waren es die Züge eines Gottes, die Desidera im Licht erschaute?
Alles mochte zutreffen und nichts der gelebten Realität entsprechen. Denn der Anblick, der sich hier der Dienerin von Coriella darbot, war mit nichts vergleichbar, was auch die kühnsten Phantasien dem Menschen vorgaukeln können und was das Auge aufnehmen kann. Das, was aus dem geöffneten Visier des Helmes hervor drang, ging über das, was ein normaler Sterblicher erkennen und ertragen kann hinaus.
Ist auch das Auge geblendet – sieht es doch die Seele. Und wie Freude die Zeichen des Leids, die Tränen, hervor bringen kann, so vermag auch die Seele im Übermaß der Gefühle sich den Weg in die Freiheit zu bahnen, um dorthin zu gelangen, wo sie sich mit dem, was sie sehnlichst erstrebt, vereinigen kann.
Was Desidera schaute, ging über ihre körperlichen wie die seelischen Kräfte ihres einfachen Gemüts.
Menschen ertragen viel und können vieles mit ansehen. Einige durchrasen die Schlachtfelder und sehen Schrecknisse, die einem Menschen, der sein ganzes Leben unter dem sanften Schleier des Friedens gelebt hat, den Verstand rauben. Jene rauen Gesellen des Mamertus geben den Tod, um ihn irgendwann zu selbst nehmen und der Anblick Erschlagener und Verstümmelter schreckt sie nicht im geringsten. Menschen mit friedlichem Gemüt dagegen werden beim gleichen Anblick irrsinnig und leben fortan im Wahnsinn. Und dem
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