Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drei sind einer zuviel

Drei sind einer zuviel

Titel: Drei sind einer zuviel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Noack
Vom Netzwerk:
Feierabend. Er stellte in seiner
Hausmeisterwohnung den Fernseher an und schaute in den Kühlschrank: Nicht ein
Bier. Vielleicht hatte er noch welches im Keller?
    Auf dem Weg dorthin kam er an der Aula vorbei
und hörte die Theatergruppe proben. Er öffnete vorsichtig die Tür.
    Ganz vorn in der
ersten Stuhlreihe vor der Bühne saß Frau Sommerblühn, vollbusig und gewichtig,
das Textbuch in der Hand. Vor ihr auf dem Podium unterstrich das Mädchen, das
die Johanna spielte, jedes Wort mit einer wedelnden Geste. »Lebt wohl, ihr
Berge, ihr geliebten Triften,
    Ihr traulich
stillen Täler, lebet wohl!
    Johanna wird nun
nicht mehr auf euch wandeln,
    Johanna sagt euch
ewig Lebewohl.«
    Frau
Sommerblühn schaute sich um.
    »Die Hirtenflöte! — Manfred! Wo bleibt die Flöte!«
    Vom Flur her kam ein Knabe mit einem Schaffell
um den Bauch und einem alten Trachtenhut angerannt. Bereits im Laufen blies er
»Wem Gott will rechte Gunst erweisen...«
    Gumpi
war tief beeindruckt.
    »Frau Sommerblühn«, rief Johanna von Orleans,
»können wir nicht morgen weitermachen? Es ist schon so spät!«
    »Ach Gott, ja, Kinder! Freilich! Im Theater
ver-gess’ ich immer Zeit und Raum.« Sie klatschte in die Hände. »Schluß für
heute!«
    Im Nu waren die jungen Akteure zur Tür
hinausgestolpert. Frau Sommerblühn packte Notizen und Textbuch in ihre Mappe
und stand ebenfalls auf.
    »Werd ich abdrehn Licht«, rief Gumpi von hinten.
    »Danke, Herr Gumpizek — bis morgen.« Dann war
auch sie gegangen.
    Gumpi suchte im Vorhang den Schlitz, hinter dem
in einer Nische das Brett mit den Lichtschaltern angebracht war. Und dabei
stolperte er über eine kleine, am Boden kauernde Gestalt.
    Zuerst sah er nur die Halbschuhe mit Söckchen,
beim Heben des Vorhangs kam dann der klägliche Rest zum Vorschein. Verängstigte
Augen starrten ihn durch eine Nickelbrille an.
    »Ja, Traudi, was machst denn hier?« Er ging vor
ihr in die Hocke.
    »Ich hör zu.« Sie legte den Finger an den Mund.
»Verraten Sie mich nicht.«
    »Is keiner mehr da, Trauditschka«, beruhigte er
sie, über ihr dünnes, in Affenschaukeln geflochtenes Haar streichend. »Aber
große Aufregung in Nebel, weil bist verschwunden. Vielleicht entfiehrt gegen
teires Lesegeld — wer weiß — «
    »Ich geh nicht mehr heim«, sagte Traudi
entschlossen und ohne Heulsusigkeit. »Nie mehr. Ich warte, bis es dunkel ist,
dann nehm ich den letzten Zug nach Regensburg.«
    »Aber warum willst ’n fort?«
    »Sie schelten nur mit mir. Ich mach alles
falsch. Ich bin dumm und faul. Sie denken nur an die Apotheke«, sprudelte es
aus ihr heraus.
    »No, ist gutes Geschäft, Pillen werden immer teirer.«
    »Wenn andere Kinder eine Vier schreiben, sind
ihre Eltern froh, daß es keine Fünf geworden ist. Wenn ich eine Vier schreibe,
darf ich eine Woche lang nicht fernsehen. Auch nicht spielen gehen. Nur
arbeiten. Wenn ich eine Fünf schreibe, krieg ich auch noch Prügel dazu. Meine
Platte von Elvis Presley haben sie auch kaputtgemacht, weil das entartete
Mu-fh-sik-fhfh...« Jetzt mußte sie doch heulen. »Ich will fort — «
    »Aber wohin denn?«
    »Weiß nich — «
    Gumpi nahm ihre Hände mit dem nassen Taschentuch.
»Schau, Trauditschka, wo ich jung war, bin i a zwamal durchgangen. Amal bis
Dirnstein. Und amal in Begleitung. — Schimpft wird ieberall. In der Fremde noch
mehr wie daheim — die Nächte sin zum Firchten — das Mitgefiehl hat kurze Beine
— und wo man ka Geld hat... komm.«
    Er stand auf und zog sie sanft mit sich hoch.
Widerstrebend ließ sie sich von ihm zur Tür führen. »Sie werden dir nichts tun.
Sie werden froh sein, daß d’ wieder da bist. Auch Eltern und Lehrer haben
schlechte Gewissen manchmal. Schad’ ihnen gar nichts, daß sich haben Sorgen
machen missen und die ganze Stadt weiß!«
    Sie verließen die Aula.
    »Aber hinterher schimpfen sie wieder«, gab
Traudi zu bedenken.
    »Macht nix. Mach Ohren zu und schließ ab.«
    Er zog sie sanft mit sich den Flur hinunter zum
Rektorat.
    »Eines Tages lauf ich wirklich davon.«
    »Ja, Trauditschka, ja — aber erst mach Schule
fertig-«
    Sie blieb mißtrauisch stehen. »Wo gehen wir
jetzt hin?«
    »Zum Herrn Rektor, wo auch dein Papa ist und
dein Lehrer.«
    »Kommen Sie mit rein, Gumpi?«
    »No — was glaubst?!«
    Er klopfte an die Tür, öffnete sie spaltweise.
Drinnen saßen Nachtmann, Frischler, Schlicht und Peter.
    Gumpi schob sich langsam hinein, machte eine
leichte Verbeugung.
    Alle sahen ihn erstaunt an.
    »Was
ist denn?«

Weitere Kostenlose Bücher