Drei Tage voller Leidenschaft
hätte sie nicht die Kraft gehabt, dieses Leben weiterzuführen. Katelina, die süße Katelina, war ihr einziger Trost und ihr Grund gewesen, weiterzuleben.
Und nun hatte sie zum ersten Mal alle Vernunft und Logik in den Wind geschlagen und leidenschaftlich nach einem Moment des Glücks gegriffen – und war unendlich beschämt und gedemütigt worden. Vielleicht bestand wirklich keine Hoffnung für sie, einmal im Leben Glück zu finden, dachte Alisa betrübt. Aber sie war mit Nikki glücklich gewesen, unendlich glücklich, auch wenn es nur einen kurzen Moment gedauert hatte.
Wieder weinte sie über ihr gebrochenes Herz und den gedemütigten Stolz. Sie weinte um all ihren Kummer und ihr Elend in den vergangenen Jahren und vergoß die Tränen, die so lange unterdrückt worden waren. Als sie schließlich keine Tränen mehr hatte, rief sie sich zur Vernunft, und ihr unbezwinglicher Geist, der ihr stets geholfen hatte, gewann wieder die Oberhand.
Sei vernünftig, du wirst auch das überleben, sagte sie sich. Sie hatte ja immer noch Katelina, und bald waren sie vielleicht auch in der Lage, Forseus zu verlassen und sich ihren Platz in der Welt zu suchen. Arni, der alte Diener ihres Vaters, Maria, ihre alte Amme, und Rakeli, Katelinas Kinderfrau, waren ihr treu ergeben und stets bereit, ihr zu helfen, sollte aus dieser Hoffnung Wirklichkeit werden.
Rasch wusch sich Alisa im Fluß und kleidete sich sorgfältig wieder an. Dann sammelte sie sich einen Moment, um wieder gefaßt zu wirken, und machte sich auf den Heimweg.
Nikki befriedigte seine unglaubliche Wut und Frustration teilweise damit, indem er Tschernow und Iljitsch aus seinem Haus jagte und ihre Abreise mit einer Reihe laut gefluchter Obszönitäten beschleunigte. Mit beträchtlich höflicheren Worten überzeugte er seinen jungen Vetter Aleksej, sich auf ein paar Tage ins Stadthaus nach Petersburg zu begeben, bis Nikki ihm dorthin folgte. Die Zigeunermädchen wurden ebenfalls entlassen und in eine Kutsche verfrachtet, in der sie zufrieden den ganzen Weg zurück in die Stadt ihr Geld zählten.
Nikki schloß sich daraufhin mit zwei Flaschen Branntwein im Musikzimmer ein und gab sich seiner höllischen Wut hin, die sich am Ende der zweiten Flasche in grüblerische Melancholie wandelte.
Dann brüllte er nach den Musikern und befahl ihnen, traurige finnische Liebeslieder zu spielen, die altvertrauten Lieder aus Nikkis Kindheit. Die Zigeunervorfahren seiner Mutter hatten sich vor mehr als hundert Jahren am Ladoga-See im Norden niedergelassen, als ein dankbarer Edelmann ihnen ein großes Stück Land und die Bürgerrechte als Gegenleistung dafür schenkte, weil sie das Leben seines Sohnes vor einem durchgebrannten Pferd gerettet hatten. Nikkis väterlicher Großvater hatte La Repose nordöstlich von Viipuri um 1910 zu bauen begonnen, und der Landsitz wurde zum Lieblingshaus der Kuzans. Nikki war dort aufgewachsen und in der karelischen Tradition erzogen worden.
»Spielt Kalliolle, Kukalalle«, murmelte er jedesmal, wenn die Kapelle ein anderes Lied gespielt hatte, und dann stimmten die Musiker wieder die traurige Melodie in Moll an, die Nikki stets wieder hören wollte.
Kalliolle kukalalle
Ralenan mina majani
Sine hajan oiman ystavan
asuman minuu ransani
Der knappe Text erzählte die Geschichte eines Mannes, der seinen Schatz in eine abgelegene Waldhütte bringt, und Nikki fiel dabei in immer schwerere, lähmende Depression.
Er konnte die herrlichen Bilder von Alisa nicht aus seinen Gedanken vertreiben. Sie hatten eine wundervolle sexuelle Begegnung miteinander erlebt, die selbst für den so erfahrenen, weltmüden Prinzen eine seltene Kostbarkeit bedeutete. Sie war unglaublich schön, natürlich, hinreißend, sinnlich … Er mußte sie einfach wiedersehen!
Um ein Uhr in der Frühe leuchteten Nikkis glasige, trunkene Augen plötzlich von einem brillanten Gedanken auf.
Ungeduldig bedeutete er den Musikern zu gehen und rief nach seinem Verwalter. Er schickte vier Reiter mit einer Botschaft zum Gärtner seines Vaters und fiel danach zufrieden mit seiner Idee in einen trunkenen Schlaf, aber nicht ohne den strikten Befehl, sofort geweckt zu werden, wenn die Reiter zurückkamen.
Dreiunddreißig Meilen entfernt genossen Nikkis Eltern im sonnigen Frühstücksraum von La Repose, dem Hauptwohnsitz von Prinz Michail Kuzan, ein intimes Frühstück zu zweit.
»Was in aller Welt hat Nikki nur im Sinn?« fragte seine Mutter neugierig. Sie war eine zierliche, dunkelhaarige
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