Drei Unzen Agonie
unter seinem
Hängekinn halb versteckt, eine blaue Fliege.
»Sie wollen Mr. Slessor
sprechen ?« Er sprach in krächzendem Flüstern, als
wären seine Stimmbänder nicht ganz intakt.
»Freunde haben mir aufgetragen,
ihn zu besuchen .«
»Wie heißen Ihre Freunde denn ?«
»Jonathan Lord und Cindy Vickers. Cindy
schien besonders viel daran zu liegen .«
»Tatsächlich?« Er schnaufte
keuchend. »Und wie heißen Sie, mein Bester ?«
»Boyd«, antwortete ich. »Danny
Boyd. Aber ich glaube kaum, daß mein Name Mr. Slessor etwas sagt. Wenn Sie
hingegen Cindy Vickers erwähnen...«
»Das sagten Sie bereits .« Er sog bedächtig einen Strom Luft ein. »Will mal sehen,
was sich machen läßt .«
Wieder verstrichen einige
Minuten. Dann erschien Gina, die Kellnerin, beugte sich liebevoll über mich und
sagte: »Pete meint, Mr. Slessor würde sich freuen, Ihre Bekanntschaft zu
machen, Mr. Boyd. Er läßt Sie bitten, auf einen Drink in sein Büro zu kommen .«
»Wunderbar.« Ich leerte mein
Glas und stand auf. »Wo ist sein Büro ?«
»Ich bringe Sie hin .« Sie lächelte verschämt. »Das ist das mindeste, was ich
tun kann, wo Sie mir doch so ein großzügiges Trinkgeld gegeben haben .«
Ich folgte ihr durch den blauen
Dunst zu einer Tür hinter schweren Vorhängen. Auf der anderen Seite befand sich
ein hell erleuchteter Korridor. Gina schritt durch den Gang voraus und stieg
eine breite Treppe hinauf. Oben war nur eine Tür. Sie wies darauf und sagte
ganz überflüssigerweise: »Da ist es .«
»Vielen Dank.« Ich nickte.
»Vielleicht hätten Sie Lust,
später noch was zu trinken, wenn Sie mit Mr. Slessor gesprochen haben ?« Ihre Augen sprachen klar und deutlich. »Ich mache um zwei
Uhr Schluß. Wenn Sie ganz allein sind, könnten wir vielleicht noch irgendwohin
gehen .«
»Ausgezeichnete Idee«, log ich.
»Stellen Sie den Drink für mich kalt, ja ?«
»Wird gemacht .« Sie drehte sich um und stieg die Treppe hinunter. Ehe sie im Flur verschwand,
warf sie mir noch einen Handkuß zu.
Ich klopfte, und eine Stimme
forderte mich auf einzutreten. Der Raum wirkte eher wie ein Wohnzimmer als ein
Büro. Lediglich der massive Schreibtisch erinnerte daran, daß hier gearbeitet
wurde. Im übrigen war das Zimmer mit mehreren bequemen
Sesseln, zwei Sofas und einer Hausbar möbliert. Hinter dem Schreibtisch saß ein
dunkelhaariger Mann, der sich gerade eine Zigarre ansteckte.
Er blickte nicht einmal auf,
als ich eintrat. Im nächsten Moment schoß irgendwo aus dem Nichts ein kräftiger
Arm hervor und umklammerte mich mit eisernem Griff. Ich wand mich wie ein Aal,
doch vergeblich. Eine Hand glitt unter mein Jackett und zog mir den Revolver
aus dem Achselholster. Dann ließ der Arm mich frei, doch ich hatte nicht einmal
Zeit aufzuatmen. Ein wuchtiger Schlag traf mich im Nacken, und ich fiel
vorwärts auf die Knie.
»Der Bursche hatte einen .38er
einstecken«, meldete der Kahlköpfige mit krächzender Stimme. »In freundlicher
Absicht ist der bestimmt nicht hergekommen .«
6
»Ist er’s, Augie ?« fragte der Mann hinter dem Schreibtisch und beobachtete
interessiert den Rauchfaden, der von seiner Zigarre aufstieg.
»Das is ’
er«, bestätigte eine leider nur zu bekannte Stimme.
Ich schüttelte ein paarmal den
Kopf, rappelte mich mühsam wieder hoch und blickte mich um. Der Kahlköpfige
lehnte an der Tür, Augie Crane saß links neben der
Bar. Ich hatte ihn unmöglich sehen können, als ich den Raum betrat. Er hielt
seine Reptilaugen unverwandt auf mich gerichtet. Erwartungsfreude glitzerte
darin. Es war mir nicht einmal ein Trost, die violett verfärbte Schwellung
zwischen seinen Augen zu sehen.
Der Mann hinter dem
Schreibtisch ließ sich endlich dazu herbei, mir seine Aufmerksamkeit zu
schenken. Sein Gesicht war scharf geschnitten, breit und kräftig — eine undeutbare
Maske. Seine Augen waren hellbraun, von langen, gebogenen Wimpern beschattet,
und verliehen ihm einen faunähnlichen, beinahe weibischen Ausdruck. Sie paßten
ganz und gar nicht zu seinem Gesicht.
»Ich bin Don Slessor«, erklärte
er mit schleppender Stimme. »Und Sie sind Danny Boyd, der edle Ritter und
Privatdetektiv, der hilflosen Jungfrauen zu Hilfe eilt, wenn sie von dem
unmenschlichen Augie Crane bedroht werden. Warum?«
»Jede Frau, die von Augie Crane bedroht wird, braucht Hilfe«, erklärte ich.
Er grinste. »Sparen Sie sich
Ihre geistreichen Bemerkungen, Mr. Boyd .«
»Wie Sie wünschen .«
»So ist’s richtig. Sie haben
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