Drei Unzen Agonie
wir uns beide, und sie taucht plötzlich wieder
hier auf .«
»Okay. Ich rufe an, sobald ich
etwas weiß«, versprach ich. »Regen Sie sich inzwischen nicht unnötig auf .«
»Sie haben gut reden«, knurrte
er. »Sie wollen Cindy ja nicht heiraten .«
Ich fuhr mit einem Taxi zurück
zu meiner Wohnung und ließ den Fahrer warten, während ich nach oben ging und
mein Achselholster anlegte. Der .38er lag eng an und war unter dem Jackett nicht
zu sehen. Dann kehrte ich zu dem wartenden Taxi zurück und fragte den
Chauffeur, ob er ein Lokal namens Blue Doll kenne, in Greenwich Village .
Er drehte sich um und starrte
mir ins Gesicht, als hielte er mich für einen schwachköpfigen Provinzler. »Haben
Sie eine Ahnung, wie viele Lokale im Village jeden
Tag aus dem Boden schießen? Und die meisten brauchen nur ein paar Tage, bis sie
pleite gehen .«
»Na, versuchen wir’s mal«,
schlug ich vor.
»Sie haben den Verstand
verloren. Da können wir die ganze Nacht suchen .«
»Und wenn Sie weitermachen,
stehen wir morgen früh noch hier«, versetzte ich kalt.
Ohne ein weiteres Wort drehte
er sich um und ließ den Motor an. Schon bei der ersten Ampel wandte er sich
wieder nach mir um. »Sie hätten mich fragen sollen, ob ich in Greenwich Village eine Bar namens Blue Doll kenne«,
erklärte er vertraulich. »Da kann ich Sie nämlich gleich hinfahren .«
»Nett, daß Ihnen das noch
eingefallen ist«, sagte ich dankbar.
Etwa zwanzig Minuten später
setzte er mich vor einem Eckhaus ab, über dessen Tür abwechselnd der Name Blue
Doll und die Umrisse eines spärlich bekleideten Mädchens in blauem Neon
aufflammten. Ich drückte ihm ein angemessenes Trinkgeld in die Hand und betrat
das Lokal. Der Teppich auf der Treppe in den Keller war abgewetzt; der
Perlenvorhang in dem winzigen Foyer hatte schon bessere Tage gesehen. Ein
Garderobenfräulein mit müdem und gelangweiltem Gesicht nahm meinen Mantel. Dann
betrat ich den Barraum.
Die Bar war ganz in
schummeriges blaues Licht getaucht. Ich ging ein paar Schritte und blieb dann
stehen. Suchend blickte ich mich um und war froh, als vor mir schließlich eine
Kellnerin auftauchte. Sie trug einen riesigen blauen Propeller im platinblond
gefärbten Haar, eine blaue Seidenbluse, ein blaues kurzes Höschen und blaue
Netzstrümpfe. Es war zu dunkel, um ihre Schuhe sehen zu können, doch mir war
mittlerweile aufgegangen, daß das Lokal nicht umsonst Blue Doll hieß.
»Eine Person?« Ihre Stimme
klang gequält, vielleicht waren ihre Schuhe zu klein.
»Ja, danke«, sagte ich und
folgte ihr an einer Reihe von Nischen vorbei. Ich erhaschte einen Blick auf
einen jungen Mann mit Bart, der ernst auf ein Mädchen mit Schnurrbart
einredete. Eine Gruppe von Feuerwehrleuten gab sich alle Mühe, sich zu
amüsieren und den Abend in der Großstadt zu einem denkwürdigen Erlebnis zu
gestalten. Dann wies die Kellnerin auf eine freie Nische und fragte mich, was
ich trinken wollte. Ich bestellte einen Whisky, und sie verschwand im blauen
Dunst. Wenig später war sie mit dem Drink wieder da. Ganz nebenbei rieb sie
sich an meiner Schulter und vertraute mir an, daß sie Gina hieß.
Ich widerstand nur mit Mühe der
Versuchung, mich zu erkundigen, was ein so unappetitliches Mädchen wie sie in einem
so hübschen Lokal zu suchen hatte. »Sie haben wohl alle Hände voll zu tun ?« fragte ich statt dessen.
» Heute abend ist es ruhig hier«, erwiderte sie und drückte sich erneut sanft an meine
Schulter. »Ganz allein?«
»Würden Sie mir einen Gefallen
tun ?« fragte ich.
»Kommt darauf an .« Der Druck ihrer Hüfte wurde noch dringlicher.
Ich nahm einen
Fünf-Dollar-Schein heraus, faltete ihn und steckte ihn ihr ins Mieder. »Ein
Freund sagte mir, daß das Lokal hier Don Slessor gehört und meinte, ich sollte
ihn mal besuchen .« Ich zuckte ein wenig verlegen die
Schultern. »Wissen Sie, ob sich das machen läßt? Ich will mich nicht
vordrängen, vielleicht hat er zuviel zu tun .«
»Ist das alles ?« In ihrer Stimme schwang Enttäuschung.
»Zumindest im Moment.« Ich
drückte meine Schulter gegen ihre Hüfte. »Ist er hier ?«
»Ich glaube schon. Will mal
nachsehen .«
Sie verschwand wieder, während
ich mich fragte, ob die anderen Kellnerinnen ebenso willig waren wie sie, oder
ob sie das Extrageld brauchte, um ihre Semestergebühren zu bezahlen. Einige
Minuten später tauchte an meinem Tisch ein massiger, kahlköpfiger Mann auf. Er
wog mindestens 130 Kilo, trug einen völlig formlosen Anzug und,
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