Drei Unzen Agonie
ein
anlehnungsbedürftiges und verwundbares weibliches Wesen steckte .«
Meine Worte klangen wie die
Ratschläge eines Amateur-Psychologen, doch ich war überzeugt, daß ich auf diese
Art bei Ursula Owen am schnellsten zum Ziel kam.
»Sie hatten also plötzlich und
unerwartet einen Verehrer. Einen gewandten Mann, der die wahre Ursula unter der
kühlen Fassade erkannt hatte. Ich kann mir vorstellen, daß Sie es tief genossen
haben, Maxine Tag für Tag im Büro zu sehen und zu denken: wenn die wüßte! Dann
gestand er Ihnen wahrscheinlich, daß er unsterblich in Sie verliebt sei und Sie
heiraten wolle. Sie schuldeten schließlich Maxine keinerlei Loyalität, so wie
sie Sie tagtäglich behandelte, und keiner konnte Ihnen einen Vorwurf daraus
machen, wenn Sie die neue Formel kopierten und an Fremont weitergaben. Etwas
Besseres hatte Maxine nicht verdient .«
»Nein!« Sie schüttelte wild den
Kopf. »Das ist nicht wahr... ich meine, was Sie über die Formel gesagt haben.
Schön, Charles und ich wollen heiraten, und er liebt mich wirklich. Das ist
doch kein Verbrechen! Wir wollten es nur geheimhalten ,
solange ich noch für Maxine arbeite...«
»Er liebt Sie also«, unterbrach
ich hart. »Können Sie mir sagen, wie oft Sie ihn gesehen haben, seit Sie ihm
die Formel verschafft haben ?«
»Ich weiß nicht genau. Ich
meine, ich habe ihm die Formel nicht gegeben. Sie wollen mir nur eine Falle
stellen...« Schmerz und Kränkung spiegelten sich in ihren Augen, sie nahm die
Brille ab und starrte stumm in die Ferne, während ihr Tränen über die Wangen strömten .
»Nicht ein einziges Mal«,
flüsterte sie. »Selbst als Sie auf den Plan traten, hielt er es nicht für
nötig, zu mir zu kommen. Er rief mich vom Büro aus an und erklärte mir, was ich
Ihnen sagen sollte. Er machte mir klar, daß ich die Hauptleidtragende sein
würde, wenn Sie die Wahrheit entdeckten. Ich sei schließlich diejenige, die die
Formel gestohlen hatte. Er benahm sich wie ein schwacher, kleingeistiger
Mensch. Mir wurde schon beim Zuhören übel. Später dann redete ich mir ein, ich
hätte mir alles nur eingebildet .« Sie betupfte sich
vorsichtig die Augen und starrte mich rührend traurig an. »Es fällt einem eben
schwer, einen Traum aufzugeben .«
»Schreiben Sie mir das alles
auf, Ursula«, sagte ich.
»Alles?« Sie setzte die Brille
wieder auf. »Alles über Charles und mich?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein.
Nur, daß er Sie heimlich dazu überredete, ihm eine Kopie der Formel zu
beschaffen. Geben Sie Datum und Zeit an, zu der Sie die Formel kopierten, sowie
Datum, Zeit und Ort, als Sie die Formel weitergaben. Das ist alles, was ich
brauche .«
Sie stand auf und schritt steif
zu ihrem Schreibtisch. Ich rauchte eine Zigarette, während ich wartete. Dann
kam sie zurück und reichte mir das unterschriebene Geständnis.
»Das ist wahrscheinlich eine
dumme Frage«, sagte sie mit kleiner Stimme, »aber was geschieht jetzt ?«
Ich steckte das Geständnis ein
und stand auf. »Ich weiß es nicht«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. »Sobald ich
es weiß, werde ich es Ihnen mitteilen .«
»Einerseits bin ich froh, daß
alles so gekommen ist .« Sie biß sich mit plötzlicher
Wildheit auf die Unterlippe. »Charles wird eine Riesenüberraschung erleben,
wenn Sie ihm den Schrieb zeigen .«
»Sicher«, stimmte ich zu.
»Sie können mir einen Gefallen
tun. Würden Sie Miss Lord sagen, daß ich morgen nicht ins Büro komme ?« Sie versuchte zu lächeln, doch der Versuch mißlang. »Ich
werde hier sitzen, warten — und Angst haben .«
»Zur Diebin haben Sie überhaupt
kein Talent, Ursula«, sagte ich. »Aber solche Leute sind mir sympathisch .«
Ich drehte mich um und ging
langsam auf die Tür zu, um ihr Zeit zu lassen, mir ein Angebot zu machen, für
den Fall, daß ich sie aus der Sache heraushielt. Doch sie blieb stumm. Und so
etwas ist eine Seltenheit.
Der bitterkalte Wind ging mir
durch Mark und Bein, als ich auf die Straße trat. Er verscheuchte meine
sentimentalen Gedanken. Im Taxi fuhr ich zurück zur East Side, wo die
rechtschaffenen Bürger der Stadt wohnen — in Häusern, die mit schwarzem Samt
ausgeschlagen sind und von ägyptischen Sphinxen aus Muranoglas bewacht werden. Doch niemand öffnete mir auf mein nachdrückliches Klingeln.
Ich wollte gerade aufgeben, als
am Bordstein ein Taxi hielt. Maxine Lord stieg aus. Sie bezahlte den Chauffeur
und schritt auf das Haus zu, den Kopf über ihre Handtasche gebeugt, auf der
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