Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Bissen von dem Lamm – hauchzart und kraftvoll zugleich –, kaue. (Dieser Geschmack!)
Mir schießt die Nässe in die Augen. Der zweite Bissen bleibt mir im Hals stecken. Ich lege das Besteck beiseite.
Jetzt bemerkt Goldstein, dass mit mir etwas nicht stimmt. »Leonie!«, sagt er erschrocken. »Ist etwas falsch an dem Essen?«
Ich schüttele den Kopf, schlucke tapfer an meinen Tränen.
»Daniel, entschuldige mich. Ich muss – ich muss etwas herausbekommen.«
Er setzt sich die Brille wieder auf, sieht mich mit gerunzelter Stirn an. »Du – du bist am Weinen? Was ist denn los?«
Ich stehe auf. »Sei mir nicht böse, dass ich jetzt nicht mit dir esse. Aber soviel ich weiß, gibt es nur einen Koch auf der Welt, der Speisen so zubereitet. Und wenn es noch einen zweiten geben sollte, dann will ich auch den kennenlernen.«
Und ohne auf Goldsteins erschreckte Fragen zu achten oder auf den Protest von Wirt und Kellner, die versuchen, mich am Arm zurückzuhalten (ich schüttele sie unsanft ab), gehe ich durch die Schwingtür in die Küche.
Zwei Beiköche hantieren da, einer füllt an der Anrichte ein paar Teller auf, der andere rührt am Herd im Saucentopf. Der Koch selbst, weiße Jacke, aber ohne Kochmütze, Rücken zur Tür, herrscht gerade eine junge Frau an, die Fenchel in Tranchen schneidet: »Feiner, habe ich gesagt, feiner! Und du, Pepi – das Dessert muss raus, wie lange dauert das denn?«
Er fährt herum, als er das Geräusch von der Tür hört. (»Hier können S’ nicht rein, Fräulein! Herrgott, is das Madel damisch?«, ruft der Kellner, der mich verfolgt.) Der Koch öffnet den Mund zu einer heftigen Replik.
»Guten Tag«, sage ich leise. Die Tränen strömen mir über die Wangen.
Vor mir steht mein Vater Harald Lasker.
32
Der Wirt hat die Hände gerungen, als Harald Lasker seine weiße Jacke ausgezogen und ruhig erklärt hat, er wäre pünktlich zum Abendgeschäft zurück.
Und Leonie hörte Sätze wie: »Seien Sie nicht albern, Mann. Alles ist vorbereitet. Seit Wochen stehe ich von früh bis spät in Ihrer Küche, mache, dass Ihr Laden voll ist. Da werden Sie mich ja wohl mal für ein paar Stunden entbehren können.« Das war Harald Lasker, wie er leibt und lebt. Den Ton kannte sie aus der Küche am Savignyplatz.
Daniel Goldstein saß da mit zwei Portionen Lamm in Ribiselsauce und erhaschte noch schnell Leonies Hände, nachdem sie ihm erklärt hatte, was in der Kürze zu erklären war, und drückte sie stumm.
Nun gehen sie schweigend nebeneinanderher, einfach die Straßen entlang. Vater und Tochter. Ihre Schatten laufen ihnen voraus.
»Was treibst du in Wien?« Das ist Laskers erste Frage an seine Tochter. Er sieht sie nicht an.
»Ich habe demnächst ein Engagement«, erwidert sie. Die Kehle ist ihr eng. »Außerdem nehme ich Schauspielunterricht bei einer Verwandten, einer Burgschauspielerin. Und du? Was hat dich hierhergebracht?«
Ein belangloses, verlegenes Frage- und Antwortspiel wie unter Leuten, die sich zufällig wiederbegegnen. Sie kommen aufeinander zu wie aus weiter Ferne. Zögernd, vorsichtig. Noch wird nichts berührt, was wehtut.
»Ein ehemaliger Kamerad hat mich hierhervermittelt. In Berlin war ja nichts zu bekommen – wie überall in Deutschland.« Pause. »Ich wollte ohnehin fort.«
Jetzt könnte sie fragen: Warum?, und unterlässt es. Sagt stattdessen: »Was ist das für ein Kamerad?«
»Einer aus dem Schützengraben«, erwidert Harald Lasker. Fügt hinzu: »Keiner vom ›Stahlhelm‹. Und auch keiner von der hiesigen ›Heimwehr‹. Das wolltest du doch wissen.«
»Ja, das wollte ich wissen.«
Sie hören ihre Schritte auf dem Pflaster. Die kleinen Straßen, durch die sie gehen ohne Ziel, sind fast verlassen um diese Mittagsstunde. Aus offenen Fenstern hört man Tellerklappern und ab und zu ein Lachen. Irgendwo bellt ein Hund.
Leonie muss den Kopf nicht wenden, um ihren Vater anzusehen. Sie weiß, dass jetzt sein Wangenmuskel zuckt vor Aufregung. Oder vor unterdrücktem Zorn. Zorn über das, was geschehen ist. Dann erreicht sie seine Stimme: »Mit Mördern will ich nichts zu tun haben.«
»Ja«, erwidert sie. »Aber soweit musste es erst kommen.«
Ja. Oh ja. Da ist er mitmarschiert mit seinen Stahlhelm-Kamerad en, bis nach München, schnurstracks hinein in den missglückten Putsch und ohne anzuhalten ins Gefängnis. Und danach saß er noch immer in seiner kalten Küche, die Wolldecke um die Schultern, sortierte Gewürze und glaubte, dass mit denen ein besseres
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