Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
ich!, werde ich das Mem nach Hermeneau bringen. Wie auch immer.
Dann habe ich Zeit und Gelegenheit, einen ganzen Herbst, Winter und Frühling lang in Wien Theater zu spielen, an einer wirklich renommierten Bühne! Das alles danke ich Euch, denn sonst wäre ich nicht hier.
Es gibt viele sephardische Juden in Wien, und ich hoffe, dass ich die Zeit meines Hierseins auch nutzen kann, Ladino zu lernen, damit ich dann im Sommer und Herbst des kommenden Jahres bei unseren spanischen Verwandten eine gute Figur mache.
Noch eine merkwürdige Fügung hat es gegeben: Mein Vater lebt ebenfalls in Wien ... Ich hatte Euch nie Näheres über ihn mitgeteilt, denn in der letzten Zeit hatten wir uns einander entfremdet und ich – ja, ich gestehe es, dass ich mich geschämt habe, davon zu berichten. Ich werde es Euch auf Hermeneau genauer erzählen. Es war ein Zufall, dass ich ihn getroffen habe; nun ist es für mich ein gutes Gefühl, ihn hier zu wissen statt in Berlin. Sicher werden wir uns hin und wieder sehen.
Der Mann, der mich ans Theater vermittelt hat – er kannte mich von der Bühne in Berlin –, ist Bühnenbildner und zeichnet wunderschön. Ich lege euch ein kleines Porträt von mir bei, das er bei einer Probe gemalt hat. Er könnte ein guter Freund werden, dem man sich anvertrauen kann in guten und bösen Tagen.
So scheint sich in meinem Leben alles zu schicken. Und daraus schließe ich: Auch das andere wird mir gelingen.
Liebe Isabelle, ich bitte Dich, sei stark! So stark, wie Du warst, als Du im Bett neben mir lagst da in Perpignan und mir mit Deinem Blut das Leben gerettet hast. Kämpfe an gegen die schrecklichen Dinge, die Dich quälen. Ich verspreche: Ich komme bald zu Dir. Ich werde den Weg finden.
Ich umarme Euch beide. Eure Leonie
Nein, ich habe in dem Brief nichts erwähnt von dem, was Hanna mir erzählt hat über die Buchstaben, weil ich es nämlich nicht glaube. Nicht glauben will. Das ist nur Unsinn. Muss einfach nur Unsinn sein. Geschichten, die die Leute um Dinge herumspinnen, die ihnen unverständlich oder unheimlich vorkommen. Ich erinnere mich an eine Theater-Anekdote: Wenn man eine bestimmte Oper von Giuseppe Verdi aufführt, sterben angeblich drei Mitglieder des Ensembles. Das ist so etwas Ähnliches. (Und tatsächlich wird das Werk selten gespielt ...)
Meinen »Verfolger« habe ich auch nicht wiedergesehen. So denke ich: Alles wird gut.
Doch ich soll mich getäuscht haben.
Ein paar Tage später gehe ich zur ersten Anprobe im Theater, und natürlich ist Goldstein dabei; ist schließlich seine Arbeit, sich um meine Garderobe zu kümmern. Es bleibt nicht aus, dass wir hinterher noch etwas zusammen unternehmen. Wir fahren mit der Stadtbahn in einen kleinen Weinort nördlich von Wien in der Nähe des Kahlenbergs, in eine »Buschenschenke«, wo derStrauß aus Föhrenzweigen über der Tür verkündet, dass es Heurigen Wein gibt.
Ich habe ihm von meinem Vater erzählt, von seiner Vergangenheit. Dass ich froh bin, ihn wiedergefunden zu haben. Wie sehr ich darunter gelitten habe, einen Vater zu haben, der so geworden ist, wie er es eben war. Bei Isabelle habe ich damals keinen Ton davon über die Lippen gebracht, aber bei Danny Goldstein habe ich das Gefühl, das man vielleicht bei einem älteren Bruder hat: Eine Schulter, an die man sich lehnen, eine Seele, der man sein Herz ausschütten kann.
Es wird Abend.
Wir reden, essen Brezeln und Schafskäse, trinken den jungen Wein und tauschen ein paar freundschaftliche Küsse. Wir fahren zurück.
An der Haltestelle Josefstadt steigen wir aus. Danny muss noch einmal ins Theater.
»Nimm dir am besten ein Taxi oder einen Fiaker bis nach Haus«, rät er mir, »damit ich kein schlechtes Gewissen haben muss. Warte nicht auf die Tram.«
»Ach«, sage ich und lache (und denke allerdings das erste Mal wieder an meinen »Verfolger«), »mich fängt schon keiner weg. Und die Straßen hier sind ja belebt. Ich geh noch ein Stück zu Fuß, es ist so schön und warm.«
Wir umarmen uns zum Abschied.
Ich schlendere den »Gürtel« entlang, jene große Straße, die mich Richtung Süden nach Hietzing führt, vorbei an erleuchteten Schaufenstern und Kinos mit Leuchtreklamen, vor deren Kassen sich Besucher drängen. Passanten kommen mir entgegen, viele Pärchen Arm in Arm. Man genießt den Abend, der schon so ganz Sommer zu sein scheint. Hinter mir, neben mir andere Leute, überholen mich, rempeln mich manchmal an, aber nicht in böser Absicht. Ein paar Kinder, die
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