Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
nicht so?«
Er fasst sich an seine Nase, die nun wirklich alles andere als krumm ist, und in seine Augen kommt jener Glanz, der mir verkündet: Denen werd ich’s zeigen!
»Bühne frei für den ersten Akt!«, zischt der Prinzipal im Rauschebartuns an. »Alle an ihre Positionen! Saal dunkel! Licht an! Massel und Broche! Hals- und Beinbruch!«
Ein paar hastige »Toi-toi-toi« über die Schulter gespuckt, dann gehe ich auf die Seitenbühne, denn ich bin erst in der zweiten Szene dran und kann jetzt richtig schön für mich mit den Zähnen klappern vor Angst.
Die erste Szene im Tempel beginnt. Die Klage über die Unterdrückung des jüdischen Volks durch die Römer. Chor und Mendel Laskarow, der auch in diesem Stück wieder mein Vater ist.
Ich lausche auf das singende Pathos der Sprache, die ich lieben gelernt habe in der Zeit, seit ich mit den Laskarows zusammen bin, und lausche vor allem auf das, was aus dem Saal kommt. Wenn es denn kommt.
Aber es ist sehr bald ersichtlich: »Unser« Publikum reagiert wie immer. Es lässt sich nicht einschüchtern von den Goien, die (neugierig oder aufgestachelt durch den Artikel im »Völkischen Beobachter«, das wird sich vielleicht noch zeigen) in dieser Premiere sitzen. Keine zehn Minuten, und es geht los mit Szenenapplaus, mit Zurufen und beifälligem »Oh!« und »Ah!«. Sie spielen mit, wie es sich gehört. Seufzen gemeinsam mit den Klagen des Volkes: »Weint und klagt, ihr Zions Kinder, gebrochen ist unser Herz und groß ist unser Schmerz auf unser heilig Jerusalem, was ist zerstört worden ... «
Und dann Auftritt Bar Kochba, der Sternensohn. Jene Stille, dies Einatmen aller ... Schlomo beginnt die erste Ansprache an sein Volk: »Hört, Kinder von Juda! Hört meine Brüder, was ich euch sage...«
Ich lehne mich an die Wand und atme tief und langsam ein und aus, wie man es mir beigebracht hat. Schwebe vor Glück und Erleichterung. Die Anspannung des Beginns ist verfl ogen. Ja, das wird ein großer Abend. Ich bin voller Freude und voller Wagemut. Das da draußen ist mein Liebster und mein Schatz und keine zehn Minuten werden vergehen und ich werde mit ihm gemeinsam auf dieser Bühne stehen.
Ich höre sein drängendes, aufreizendes Raunen: »Von Sitzen undWarten kann gar nichts geschehen, keine Sach’ von der Welt wird von allein.« Und schließlich, nach den sich immer mehr steigernden Wechselreden zwischen ihm und der Menge: »Steh auf, mein Volk, ergreif das Schwert, zu befreien Zion, das Heiligtum!«, sein volles metallisches Schmettern: »Schwört zu mir von Herzen, schwört mir, getreu zu sein!«
Der Vorhang fällt, der erste Akt ist vorüber und der Applaus setzt ein, Applaus, wie man ihn nur auf diesem Theater kennt, zuerst das kollektive Ausatmen, das »Schnurren«, dann der Aufschrei der Begeisterung, und dann erst rühren sie die Hände.
Schlomo führt einen kleinen Freudentanz auf, wirft die Arme in die Luft, vollführt Steppschritte, schwenkt die Hüften wie eine Bauchtänzerin, strafft sich, legt den Kopf in den Nacken und schreitet vor den Vorhang, zunächst mit Kusshänden und dann mit tiefer Verneigung seinen Beifall entgegenzunehmen. Gekreisch, Getrampel.
»Zweiter Akt, schnell!« Mendel scheucht die Bühnenarbeiter. »Lasst sie nicht zur Ruhe kommen da draußen! Bist du bereit, Puppchen!«
»Ja, ich bin bereit.« Bereit und voller Freude. Sodass mir die große Klage zu Eingang besonders gut gelingt: »Weinet, alle Töchter Zion, klaget, Kinder all zusamm ...«
Und dann, in der Pause nach dem zweiten Akt, während man auf der Bühne alles für die Szene zwischen dem römischen Statthalter und dem Sternensohn vorbereitet, husche ich in meine Garderobe und komme mit einem schwarzen Kreuz mit Haken aus Pappe wieder. Ich habe es nach dem Muster der Armbinde ausgeschnitten.
Schlomo lässt sich gerade von zwei Frauen aus dem Chor (die dieser Arbeit mit Begeisterung nachkommen) den roten Feldherrnmantel drapieren. »Was meinst du?«, frage ich wie beiläufi g. »Würde das unserer Dekoration nicht eine gewisse – Würze geben?«
Seine Augen weiten sich. »Oi!«, sagt er gedehnt.
Die sind gleich fertig mit Aufbauen. Die Zeit drängt. »Von Sitzen und Warten kann gar nichts geschehen!«, zitiere ich seinen Text.
Er dreht sich suchend um. Der Prinzipal gibt die letzten Anweisungen auf der Bühne.
»Tate!«
»Du störst, Sohn! Kümmere dich um deine Rolle!«
Er lässt sich nicht abschrecken. »Tate, Leonie und ich, wir wollten fragen, ob wir das hier
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