Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
kann meine Enttäuschung nicht verbergen. »Warum bist du so dagegen?«, frage ich und rühre in meiner Tasse herum. »Wir machen damit nur, was man im Moment überall macht auf den großen Theatern«, wiederhole ich, was ich schon dem Prinzipal gesagt habe.
»Wir sind aber kein großes Theater«, sagt er mit gerunzelten Brauen. Er schaufelt sich mehr Zucker in sein Getränk, als meiner Meinung nach nötig wäre. Dann sagt er unvermittelt: »Schon vergessen, was war vor ein paar Tagen? Mir steckt es noch in den Knochen. Und nun verkaufen wir Karten nicht bloß in unserem Viertel, sondern überall. Lass uns wie immer spielen! Nicht solche ... solche Frechheiten!« Er holt den Kellner mit einem Fingerschnipsen heran, bestellt noch Kreplach, kleine in Fett gebackene Küchlein, eine Spezialität des Hauses.
»Wie du aus dem Artikel im >Völkischen‹ siehst, ist es ohnehin Frechheit, den >Bar Kochba‹ zu spielen«, sage ich. »Ein bisschen mehr macht da auch nichts aus.«
Schlomo taucht die Küchlein in die heiße Schokolade, leckt sich die Finger ab. »Noch ein Cointreau, hm? Ein Orangenlikör hinterher?«, schlägt er vor. »Das macht die Lippen schön süß beim Küssen.«
»Wir sind gerade nicht beim Küssen«, sage ich. »Du lenkst ab, nicht wahr?«
Er nickt. »Richtig.«
Zwei junge Mädchen pressen ihre Nasen von außen an die Scheiben des Cafés und stecken dann die Köpfe zusammen. Schließlichwagen sie sich herein und bitten Herrn Laskarow errötend und kichernd um ein Autogramm. Er sucht in den Taschen seines weiten Radmantels, der überm Nachbarstuhl hängt (ein imposantes Kleidungsstück, ich habe ihn bisher nur in seinem Schrank gesehen), nach seinem Füllfederhalter.
Nein, er hat ihn nicht dabei, aber der Kellner hilft aus mit seinem Bleistift, und Schlomo verteilt auf der Rückseite des Rechnungsblocks seine großzügige Unterschrift an die beiden Fräulein.
»Warum willst du das Stück? Nur wegen der großen Rolle? Du hast mir da mal was anderes gesagt!«
»Kannst du eigentlich niemals Ruhe geben?«
»Schlomo Laskarow!«
»Ja. Natürlich wegen der Rolle. Nein. Nicht nur. Ich bin bloß ein Komödiant, ich spiele die Rollen, die im Textbuch stehen. Warum soll ich alles so genau begründen?«
Er grinst mich an, aber ich gehe nicht darauf ein.
»Sollst du ja gar nicht. Du sollst bloß Ja sagen zu dem, was ich gern möchte. Sieh es doch mal von der praktischen Seite! Wenn das Theater neue Kostüme anfertigen lässt, halten wir den Termin nicht. Von den Kosten mal ganz abgesehen.«
Der Orangenlikör kommt. Und während ich das Glas an die Lippen führe, werfe ich einen Blick durch die große Scheibe nach draußen. Irgendetwas tut sich da. Die nachmittäglich leere Straße ist auf einmal belebt. Regelrecht ein Menschenaufl auf. Die Leute drängen sich um einen Zeitungsverkäufer, und gleichzeitig fliegt die Tür auf und ein Junge, die Schiebermütze überm Ohr, den Arm voller druckfrischer Zeitungsblätter, stürmt herein. »Extrablatt! Extrablatt! Putschversuch in München niedergeschlagen! Tote und Verletzte! Reichswehr und Landespolizei verhinderten Marsch auf Berlin!«
»München?« Ich schnappe nach Luft. Sehe Schlomo an.
Er winkt den Jungen an unseren Tisch und zieht ein Bündel Banknoten aus der Tasche – es zählt ohnehin keiner mehr nach, wenn man »Kleinigkeiten« bezahlt.
Und während er mir die Zeitung gibt, fragt er: »Was ist mit München?«
»Mein Vater ...«, murmele ich. »Er ist abgereist, bevor ich zu euch kam. Nach Süddeutschland.« Er sagt nichts weiter. Wir beugen uns gemeinsam über das Blatt. Ich lese die Überschriften: »Anhänger Ludendorffs erklärten Absetzung der Regierung« – »Proklamation deutscher Nationalregierung fehlgeschlagen« – »Militante Radikale auf Marsch zur Feldherrnhalle gestoppt« – »Tote und Verletzte auf beiden Seiten« – »Sturz der Regierung durch Rechtskräfte vereitelt« – »Ludendorff und Hitler nebst vielen Parteigängern verhaftet«.
»Was sind das für Kerle?«, fragt Schlomo. »Ludendorff kenne ich ja, das war ein General im Krieg. Aber der andere? Hitler?«
»Den anderen kenne ich auch nicht, aber den brauchen wir uns bestimmt nicht zu merken. Sicher irgend so ein kleiner Völkischer. Einer von den Judenhassern.«
Schlomo nickt.
»Scheint ja noch mal gut gegangen zu sein da in München«, bemerkt er.
»Ja.« Mir ist kalt. Ich trinke den Rest meiner Schokolade und bekleckere dies verfl uchte Extrablatt. Meine Hände
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