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Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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fliegen.
    »Leonie!« Er zieht sein Taschentuch, wischt die Schokolade vom Papier. »Du hast Angst um deinen Vater?«, fragt er leise.
    Ich kann nicht antworten.
    Er dreht das Blatt um, blickt darauf. Ein unterdrückter Aufschrei. »Was ist denn das?«
    Da gibt es ein Foto. Marschierende mit Transparenten. »An den Galgen mit der Regierung!« – »Tod den Verrätern!« Und weiter hinten, gerade noch zu entziffern: »Deutschland erwache! Juda verrecke!« Zwischen den Leuten mit den verbissenen Gesichtern, die da laufen, mehrere Lastwagen voller bewaffneter Männer in Uniformen. Ich kenne die Uniformen. Sie müssen braun sein. Eine da von habe ich vor Kurzem in Neukölln im Wohnzimmer gesehen. Ich sehe noch einmal genau hin auf dies Bild. Da sind auch diese Armbinden.
    Juda verrecke ... Das Weltjudentum ... Das hatte der Kerl mit dem Monokel und der Uniform, dieser Uniform, gesagt.
    »So ein Ding ...«, sage ich leise. »So eine Armbinde, wie die tragen – die habe ich zuunterst in meinem Koffer. Hing bei uns im Flur herum.«
    »So eine mit diesem komischen Kreuz mit Haken?«
    Ich nicke. Schlomo legt den Arm um mich. »Ich denke«, sagt er dicht an meinem Ohr, »wir sollten es doch so machen, wie du dir ausgedacht hast. Mit der Ausstattung vom ›Bar Kochba‹, meine ich. Da fällt uns bestimmt noch dies und das dazu ein. Und nun hör auf zu zittern, Duschenju. Die haben es ja nicht geschafft.«
    »Ja«, erwidere ich. »Diesmal nicht.«
    Juda verrecke. Das Ziehen in der Brust ... Ich muss das Zeichen finden.
     
    Während Selde sich bemüht, dem Sittich »sieße Mame!« beizubringen (sie versucht es seit Tagen), studiere ich mit Herzklopfen die Zeitungen des Hausherrn. Die Namen der toten Putschisten wurden veröffentlicht. Ein Lasker ist nicht darunter. Den Verhafteten wird der Prozess gemacht ...
    Das heißt, mein Vater wird wahrscheinlich vor Gericht gestellt! Vielleicht kommt er ins Gefängnis! Bei dem Gedanken wird mir ganz schlecht.
    Zweimal bin ich zu Haus gewesen. Niemand da. Wenn ich in der kalten, muffi g riechenden Wohnung in Neukölln stehe, bekomme ich Bauchschmerzen.
    Zum Glück habe ich auch nicht viel Zeit, nachzudenken. Die Arbeit!
     
    Vormittags machen sie sogenannte Durchläufe, das heißt, das ganze Stück wird nur »auf Technik« gespielt. Abläufe, vor allem die der Volks szenen, reibungslose Auftritte und Abgänge, all das, was Schlomo »Gefühl für die Zeit« nennt: Wie man sich die Rolle einteilt. Er, der Routinier, spricht diese Proben mit halber Stimme, deutet Gesten und Bewegungen nur an.
    Leonie fi ndet es nahezu unverschämt, wie er die Rolle sozusagen »austrocknet«, Worte und Gesten ohne jedes Gefühl.
    Aber auch der Prinzipal gibt ihr als Regisseur solche »Ejtzes«, Ratschläge. Er sagt: »Lern haushalten mit der Stimme! Spar die Luft! Spiel trocken! Guck dir ab, wie es Schloime macht! Wenn du willst spielen alle Proben mit Gewure (was wohl Kraft heißt), du bist tot zur Aufführung! Das machen sie nur auf dem Amateurtheater!«
    Manchmal ist sie kurz davor, in Tränen auszubrechen, aber ein spöttischer Blick, eine Bewegung der Augenbraue, ein verzogener Mundwinkel des Heldendarstellers geben ihr die Fassung zurück. Sie bewahrt ihre Haltung, sie möchte nicht noch einmal hören: »Sie hat die Krise!«
    Nachmittags kämpft sie mit dem Prinzipal und den Schauspielern wegen der Kostüme, denn immer noch gibt es viel Skepsis gegenüber der »Mischung« aus Historie und Heute. Allerdings ist das grünäugige Fräulein Guttentag sofort bereit, ihr schönes, tief ausgeschnittenes Kleid aus dem Bunten Abend nebst falscher Perlenkette auch als Serafi na, Gattin des römischen Statthalters, zu tragen, und ihr Partner Heinrich Bloch findet, er macht im Frack eine so vorteilhafte Figur, dass er den Römer liebend gern in diesem Kleidungsstück spielen wird. Nachdem Leonie auch noch den Darsteller eines Juwelenhändlers (der Dina raubt und an die Römer ausliefert) davon überzeugt hat, dass er in langem schwarzem Überrock und hohem Hut viel wirkungsvoller auftreten könne als in einem Burnus aus billigen Laken, gibt sie sich erst einmal zufrieden.
    (Dass sie Mendel Laskarow nie und nimmer dazu kriegen wird, auf den angeklebten Bart und das weiße wallende Haar zu verzichten – er spielt Dinas Vater –, ist ihr klar.)
    Dann, in den letzten Probentagen, entscheidet Laskarow senior, das Stück ohne Unterbrechung aufzuführen. Das ist ungewöhnlich, weil die Zuschauer in der Pause

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