Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
aufhängen können, an der Römertribüne.« Er schwenkt das schwarze Pappstück.
»Hängt auf, was ihr wollt, aber ...« Er stockt. Dann sagt er, genau wie sein Sohn vorher: »Oi!« (Natürlich kennt er die Zeitungsbilder; das »Extrablatt« war nur der Auftakt ...) Seine Finger spielen im angeklebten Patriarchenbart. »Erfolg macht mutig«, knurrt er. »Tut, was ihr nicht lassen könnt.«
Ich werfe meinem Partner eine Kusshand zu. »Danke, Schlomo!« Dann bitte ich einen der Bühnenarbeiter, »auf Anweisung von Herrn Laskarow« das Pappkreuz an der Römertribüne aufzuhängen.
Vorhang auf zum nächsten Akt! Bar Kochba erscheint vor der römischen Festung, angetan mit dem prunkvollen Feldherrnmantel, begleitet von den Bannerträgern, die Fahnen mit dem Davidsstern hochhalten. Und hinten an der roten Decke, die von der Tribüne der Besatzer hängt, nur halb im Licht, ganz in der Ecke, aber unverkennbar schwarz auf dem rotem Grund – das schwarze Hakenkreuz...
Ein Augenblick atemlosen Schweigens. Dann ein Beifallssturm, bevor noch irgendwer auf der Bühne ein einziges Wort gesagt hat.
Ja, sie verstehen es. Hakenkreuz und Judenhass sind für sie ein und dasselbe. Sie kennen sich aus, die Leute aus dem Scheunenviertel. Es geht sie ja schließlich viel an. Sie verstehen es so gut, dass sie diesen Szenenapplaus spenden. Das ist es. Dass wir ihnen mehr geben können mit diesem »alten« Stück, als sie erwarten.
Und die anderen, die gekommen sind? Sie sind einfach still. Es sind ja wohl einige Wohlgesinnte darunter ...
Dann, als ich schon »tot« bin (Schluchzen im Publikum, ein allgemeiner Aufschrei, als ich mich »von der Mauer stürze«), entspannt und glücklich, stehe ich in der Seitenbühne, bereit für denSchlussapplaus, und sehe Bar Kochba beim Sterben zu, so wie ich es an jenem ersten Vormittag in der Küche am Spittelmarkt bewundert habe.
»Und wenn ich muss sterben jetzt, dann als der Letzte auf dem Schlachtfeld! Solange warmes Blut mir in den Adern fließt, steht Zion fest!«
Das erste Erstaunen über die Verwundung, wie er seine »blutige« Hand betrachtet, die er auf die Wunde gelegt hat, aufsieht, einen Blick zum Himmel schickt, die Lider langsam senkt, wie ihm das Schwert entfällt, bis zum Aufbäumen, vom Versuch, dem Tod zu widerstehen, dem Stolz und Trotz, dem Ermatten schließlich. Der Tod eines Helden, der für sein Volk stirbt. Erschütternd und erhebend zugleich. Eine Niederlage, die ein Sieg ist ...
Die Gänsehaut, die ich auf den Armen habe, ist auch dann noch nicht vergangen, als er nach Schließen des Vorhangs aufsteht wie ein Fisch, der aus dem Wasser schnellt, eine Kapriole mit Salto springt, auf mich zustürmt und mich küsst.
»Heulst du etwa?«, fragt er strahlend. »Dann war ich wirklich gut. Komm raus.«
»Nein«, sage ich. »Erst du allein.«
»Ja, natürlich.« Der Heldendarsteller braucht zunächst seinen persönlichen Applaus. Das ist ja selbstverständlich.
Noch nie ist eine Aufführung von Laskarows Künstler-Theater in der Presse besprochen worden. Verständlich also, dass die Wogen in der Küche am Spittelmarkt hochgehen, als die Kritiken erscheinen.
Leonie hatte die Gifttirade im »Völkischen Beobachter« entdeckt, als das Blatt durch den Briefschlitz geworfen wurde – Tate-Mame und Hauptdarsteller lagen noch im tiefsten Schlaf –, und war gleich losgelaufen zum nächsten Kiosk, ob sich vielleicht ein positives Gegenstück entdecken ließ. Und richtig, die »Vossische Zeitung«, die »Tante Voss«, hatte auch jemanden ausgeschickt in die Vorstellung. »Jiddisches Volkstheater auf neuen Wegen« titeln die.
Nun reißen sich drei Laskarows ständig gegenseitig die Blätteraus der Hand und lesen laut, abwechselnd himmelhoch jauchzend oder schäumend vor Empörung, was da geschrieben steht.
»Gottbegnadeter Schauspieler, robust und zartbesaitet zugleich«, »hochbegabte blutjunge Debütantin«, »beachtlicher Versuch, ein altes Stück des Volkstheaters zu aktualisieren«, »mutiger Vorstoß in eine neue Richtung«, »begeisterter Applaus ›ihres‹ speziellen Publikums spornte die Akteure zu Höchstleistungen an« – das ist die eine Stimme. Die andere: »Juda probt den Aufstand«, »fanatisiert heulende Menge mit Schaum vor dem Mund«, »nun wissen wir, was uns erwartet, wenn wir sie in unserer Mitte dulden«, »pathetisch jiddelnde Laienspieler«.
Die letzten »Sentenzen« werden begleitet von Schreien aus drei Mündern.
»Was bin ich für diese miesen
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