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Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Gnade. Es wende der Ewige sein Angesicht zu dir und schenke dir Frieden.« Und ich habe Gänsehaut an den Armen und fühle in meinen Fingerspitzen ein feines Kribbeln.
    Dann werde ich von beiden umarmt – sie riechen nach Lavendel und Zitrone – und in den Wagen geschoben. Gaston reicht mir den Koffer hinterher.
    Der Schaffner schließt die Tür.
    Eine Trillerpfeife schrillt. Der Zug fährt an.
    Ich stehe neben meinem Koffer im Gang, unfähig, aus dem Fenster zu schauen, unfähig, in das Abteil zu gehen, und habe das Gefühl, dass ich schwanke wie ein Rohr im Wind.
    Leonie Lasker auf der Rückreise nach Berlin. Auf der Suche nach dem ersten der drei Zeichen.

BERLIN

1
    Mit der Tochter ist auch das schöne Wetter aus Berlin verschwunden. Es regnet. Es regnet bereits den dritten Tag.
    Die Zeit ohne Leonie ist öde. Es beginnt schon, wenn Harald Lasker morgens aufwacht. Sonst erhebt er sich, nachdem Leonie aus dem Haus ist. (Es ist so fatal, hier herumzuhängen, ohne Arbeit.) Wenn sie da ist, hört er früh ihre Schritte und das Klappern des Kaffeegeschirrs aus der Küche. Aber nun ist die Wohnung leer und er bleibt noch länger liegen.
    Mit seinen Einsamkeiten muss man allein klarkommen.
    Doch heute hat er was vor. Einmal wieder auf zum Spießruten- lauf!
    Er zieht sich besonders sorgfältig an, den guten Anzug mit den feinen Streifen, die Krawatte, der weiche Filzhut, dessen Krempe er vorm Spiegel justiert.
    »Spießrutenlauf« bedeutet für ihn zunächst einmal der Empfang des Arbeitslosengeldes. Das ist heute wieder dran wie jede Woche.
    Missmutig verlässt er die Wohnung, überquert den Hinterhof und macht sich auf den Weg. Am Kiosk an der Ecke vor dem Amt besorgt er sich noch seine Zeitung, den »Völkischen Beobachter«, das nationale Blatt, das er seit Langem liest. Dann sieht er von Weitem schon die Schlange heruntergekommener Gestalten, die sich wie immer vor der Stempelstelle bildet.
    Hier muss er nun herumstehen mit irgendwelchen Proleten; Schiebermütze, offener Kragen und hängender Hosenboden. Die stinken. Die haben sich heute noch nicht einmal gewaschen.
    Harald Lasker öffnet seine Zeitung, versteckt sich dahinter, versucht, mit dem ausgebreiteten Blatt Abstand zu halten, zu verhindern, dass ihn jemand anspricht. Er überfl iegt die Schlagzeilen. »Inflationsratewächst weiter« – »Ausländische Mächte verhöhnen offen Schwäche der deutschen Republik« – »Dreiste jüdische Halsabschneider treiben kleine Händler in den Bankrott – Regierung sieht weg« – »Ruf nach dem starken Mann wird immer lauter«. Aber er kann sich nicht konzentrieren, denn seine Ohren kann er nicht verschließen. Mit stummer Verachtung hört er, was die Männer in der Schlange für unverdautes Zeug reden. Wer alles schuld sein soll an der Misere, in der sie stecken und daran, dass Deutschland den Krieg verloren hat. Heute der, morgen jener. Die Generäle, der abgedankte Kaiser. Die Franzosen. Die fetten Kapitalistenschweine. Die Roten. Die Deutschnationalen.
    (Die Deutschnationalen? Das sind die Einzigen, die etwas für Deutschland tun! Aber diese Proleten werfen alles in einen Topf.)
    Zum Glück gibt es Leute im Land, sagt sich Harald Lasker, die den Durchblick haben und wissen, was die wirklichen Gründe sind. Damals, 1918, da sind wir Kämpfer an der Front verraten worden. Die Heimat hat uns verraten, diejenigen, die uns den Rücken decken sollten. Als wir alle Kraft und Unterstützung brauchten, da hat man uns schmählich im Stich gelassen. Da war der Krieg verloren. Ja, das, was zu Haus passiert war, das hat uns den Sieg genommen. Und wer die Hauptschuld daran getragen hat, das weiß man auch. Juden. Juden haben das große Wort geführt und das Volk verblendet, sodass eine kriegswichtige Ordnung nicht mehr möglich war. Juden sind schuld, dass an der Heimatfront alles in Aufl ösung begriffen war.
    Der Beamte mit den feisten Wangen hinter dem Schalter behandelt ihn, einen Harald Lasker, wie Krethi und Plethi, drückt ihm mürrisch den Anwesenheitsstempel aufs Papier, mit dem er sich dann noch einmal an der Kasse anstellen darf, um die unzähligen Geldscheine in Empfang zu nehmen, die man am besten gleich ausgibt, denn was bekommt man morgen schon dafür ...
    Lasker rückt die Krempe seines Hutes zurecht und begibt sich im Nieselregen zum »Spießrutenlauf, Teil zwei«.
    Noch am Abend zuvor hat er Bewerbungsschreiben abgefasst, vier an der Zahl. In seiner wunderbar akkuraten Handschrift. Hatangeführt, bei wem er

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