Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
gelernt, wo er gearbeitet hat, welche Positionen er innehatte und in welchen renommierten Küchen. Versehen mit entsprechenden Zitaten aus seinen Zeugnissen, die »bei Bedarf zur Gänze einzusehen« wären.
Wenn er die Bewerbungen persönlich an Ort und Stelle bringt, spart er nicht nur das Porto, sondern er kann vielleicht sogleich einen direk ten Kontakt zum Chef eines Hotels oder eines großen Restaurants knüpfen, einen Eindruck hinterlassen. Obwohl das bisher noch nie geglückt ist.
Die beiden Male zuvor waren nicht gerade ein Erfolg.
Wenn man ihn an den Buchhalter des Unternehmens verweist, so ist das schon ein Glück. Der Chef ist grundsätzlich nicht da. Lässt sich verleugnen. Seine Bewerbungen sind auch schon beim Portier oder bei der Putzfrau gelandet, die versprochen hat, sie dem Herrn des Hauses auf den Tisch zu legen, sobald der zurück ist...
Nun also heute aufs Neue.
Nein, noch ist er nicht so weit, dass er sich bei irgendwelchen Klitschen oder Suppenküchen bewirbt. Noch versucht er, eine Anstellung zu fi nden, die seinen Qualitäten entspricht. Restaurants und Hotelküchen in Ku’dammnähe, Charlottenburg, Wilmersdorf. Ein Gartenlokal.
Vier Bewerbungen, vier Adressen. Das muss er durchhalten.
Das erste Etablissement ist ganz in der Nähe seiner alten Arbeitsstelle. Eine gute Gegend. Wuchtige Mietshäuser mit Stuckverzierungen und Eingangstüren aus schwerem Eichenholz, die Straßen sind gesäumt von Kastanien und Platanen. Hier konnte man immer schön einkaufen damals, aber viele Läden sind inzwischen geschlossen. »Geschäftsaufgabe.« Es geht eben überall bergab.
Im Restaurant, das er nun ansteuert, muss man ihn eigentlich kennen. In der Arbeitspause hat er hier manchmal einen Kaffee getrunken und mit dem Kellner ein paar Worte gewechselt.
Er streift sich die Feuchtigkeit des Nieselregens von den Schultern, schüttelt den Hut aus und drückt die Klinke, und wirklich kommt der gleiche Ober wie damals (der Glückspilz hat seineStelle noch!) freundlich auf ihn zu. »Schön, Sie mal wieder zu sehen, Maestro. Was darf’s denn sein?«
Ein aalglatter Typ. Der weiß doch ganz genau, dass sein Gegenüber nicht zum Kaffeetrinken hierherkommt.
»Ich würde gern den Geschäftsführer sprechen.«
Die Züge des Mannes werden misstrauisch. »Eine Beschwerde?«, fragt er scheinheilig.
Lasker lächelt souverän. »Nein, nein. Ich möchte mich bewerben, falls vielleicht etwas frei ist in der Küche.«
»Ich gehe nachfragen!«
Harald Lasker wartet. Nicht einmal einen Stuhl hat man ihm angeboten. Von einem Glas Wasser ganz zu schweigen.
Es dauert nicht lange, dann ist der Kellner wieder da. »Der Chef ist leider nicht im Haus.« (Wie üblich.) »Aber Sie können die Unterlagen gern hier lassen. Wir melden uns bei Ihnen.«
Ja. Das war’s. Nummer eins.
Und da ist es wieder, dieses Gefühl in der Magengrube, als wäre man ein Hausierer, dem das Stubenmädchen die Tür vor der Nase zuschlägt!
Er steht da draußen und starrt auf das feuchte Straßenpfl aster. Am liebsten ginge er nach Haus. Schmisse alles hin.
Kopf hoch!, befi ehlt er sich. Du warst Soldat und musst Disziplin wahren. Vielleicht klappt’s ja beim Nächsten.
Der Nieselregen hat aufgehört. Immerhin. Nun bevölkern sich die Gehwege mit Leuten, die weiter nichts zu tun haben. Lungern an den Straßenecken, die Hände in den Hosentaschen, sitzen, wenn’s hoch kommt, draußen vor der Kneipe, vor dem einzigen Bier, das sie sich heute leisten können und an dem sie sich festhalten. Traurige Gestalten in einem traurigen Land ohne Arbeit und Perspektive. Besiegte. Bis auf die, die immer gewinnen. Schwamm drüber.
Nummer zwei. Ein mittelgroßes Hotel mit renommierter Küche.
Immerhin. Man wird ins Büro gebeten. Ein jovialer Buchhalter liest sich in seiner Gegenwart die Unterlagen durch. Sehr sorgfältig.
Harald Lasker kann nicht verhindern, dass sein Wangenmuskel nervös zu zucken beginnt. Und seine Hände werden feucht. Verdammte Aufregung. Wird es vielleicht?
Dann legt der Mann die Papiere aus der Hand und ihn trifft ein mitfühlender Blick über ein Paar auf die Nase geschobene Brillengläser hinweg.
»Es ist eine Schande, dass ein Profi von Ihrer Qualifi kation Klinken putzen muss, um wieder in Lohn und Brot zu gelangen. Fünf Jahre nach dem Krieg und diesem Land geht’s dreckiger denn je zuvor – was haben wir bloß für eine schlappe Regierung. Deutschland ist wirklich am Ende. Statt dass jemand irgendwann mal mit der Faust
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