Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
Neukölln, auf einem nicht besonders auffälligen Hinterhof, existiert ein nicht besonders auffälliges Vereinslokal. (Bis vor Kurzem war das hier eine Sattlerei, aber die ist pleitegegangen. Der Inhaber musste aufgeben.) Die Rollläden vor den Fenstern sind meistens heruntergelassen und man macht sich durch eine bestimmte Abfolge von Klopfzeichen bemerkbar. Was nicht bedeutet, dass hier irgendetwas illegal wäre. Nein, der Bund deutscher Frontkämpfer, »Der Stahlhelm«, ist ein seit Langem eingetragener Verein und erfreut sich steigender Beliebtheit, und nicht nur bei alten Kameraden aus dem Krieg.
Aber Vorsicht kann nicht schaden. Nicht jedem ist die Gesinnungdieser aufrechten Deutschen genehm. Und nicht alles, was hier gemacht wird, bewegt sich im Rahmen des Erlaubten ... Lasker klopft das Zeichen. Man öffnet ihm.
Der Raum ist spärlich möbliert, ein paar Stühle, ein Schreibtisch, ein Rollschrank mit Akten. An der Wand zwei Fahnen: eine mit dem Emblem des »Stahlhelm«. Die andere ist die Reichskriegs- flagge. Und obwohl von der Decke nur eine nackte Glühbirne herunterhängt, fühlt sich Harald Lasker sofort aufgehoben. Das liegt unter anderem am Geruch. Es riecht immer noch nach dem Leder, das hier verarbeitet wurde – ein starker, irgendwie kraftvoller Duft. Geraucht wird auch, und obwohl er selbst strikter Nichtraucher ist, gefällt ihm der blaue Dunst hier in dieser Atmosphäre.
Obwohl heute kein besonderer Versammlungstag ist, sind einige Vereinsmitglieder da; man findet sich gern gegen Abend zusammen – Kameraden eben.
An einem der Tische ist man beim Skat. Die drei Spieler sind so vertieft, dass sie gar nicht aufschauen. Jemand anderes hat seine Nase tief in den »Stürmer« versenkt, das Blatt, das nach Laskers Meinung sich am eifrigsten für die deutschen Werte einsetzt.
Auf dem Tisch daneben ist ein graues Wolltuch ausgebreitet, darauf Werkzeug, eine Flasche mit Reiniger, weiche Lappen. Pistolen. Einige Mitglieder des »Stahlhelm« reinigen ihre Waffen.
Harald Lasker strafft sich, hebt die Hand zum Hutrand, salutiert militärisch.
»Kameraden!«
Die am Tisch mit den Waffen erheben sich, erwidern seinen Gruß. Die anderen nicken ihm zu. Jemand nimmt ihm eilfertig Hut und Tasche ab.
Lasker setzt sich zunächst einmal für sich allein und schließt kurz die Augen, er braucht einen Moment Ruhe. Lauscht dem vertrauten Geräusch von dem Tisch da drüben, von Metall auf Metall, dem Klicken der Sicherung, dem Einrasten des Schiebers.
Genießt das Gefühl, unter Gleichgesinnten zu sein. So etwas wie ein Zuhause ist das hier ...
Er hört mit halbem Ohr das Gespräch der Skatspieler.
»Dem haben wir vielleicht eins aufs Maul gegeben! Wie ein Schwein geblutet hat er. Der guckt keinen von uns wieder schief an!«
Lasker erhebt sich schnell. Auch bei den Kameraden gibt es solche und solche. Und diese beim Skat sind nicht diejenigen, mit denen er sich hier verbunden fühlt. Deren Gesellschaft genießt er nicht...
Er will zu dem Tisch mit den Waffen hinübergehen, als ihm jemand aus dem Hinterzimmer entgegentritt. Die anderen blicken auf, sogar die Skatspieler straffen sich, nehmen Haltung an.
»Kamerad Lasker! Gut, dass du kommst!«
Der Mann hat einen militärisch kurzen Haarschnitt, er trägt ein Einglas mit schwarz-rot-goldenen Band ins Auge geklemmt. Sie salutieren noch einmal kurz voreinander, dann nimmt der ihn freundschaftlich am Arm.
»Wir brauchen dich«, bemerkt er zu Lasker, »hilf uns doch mal! Es geht um irgendwelches Bürokratengewäsch. Aber mit so etwas wirst du ja fertig. Kannst formulieren wie ein Advokat.«
Lasker zieht sein immer noch klammes Jackett aus, setzt sich in Hemdsärmeln an den Schreibtisch. (Jemand hängt das Kleidungsstück sofort sorgfältig auf den einzigen Bügel, den es hier gibt.) »Deswegen bin ich ja auch euer Schriftführer!«, sagt er lächelnd. »Also los, um was geht’s?«
»Irgendwelche Mistkerle wollen uns wegen Volksverhetzung verklagen, weil wir behaupten, durch die Juden hat Deutschland den Krieg verloren. So weit ist es gekommen in unserem Vaterland! Jetzt soll man schon vor Gericht gezerrt werden, wenn man die Wahrheit ausspricht. In dieser verlotterten Republik ist alles möglich!«
Lasker greift zu Federhalter und Papier. Ja, es stimmt, er kann formulieren wie ein Advokat. Und wenn sich wer darüber wundert, sagt er meist scherzhaft, das sei ihm so in die Wiege gelegt worden ... »Na«, meint er entschieden, »dem werden wir mal einen Riegel
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