Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
ist, von silbernen Löffeln und Kuckucksuhren bis zu Grammofonen,Musikschränken und dicken Büchern, bei denen es wohl weniger auf den Inhalt als auf die Tatsache ankommt, dass sie schön gebunden und mit Goldschnitt versehen sind. Das Prinzip der Kommission ist es, dass die Händlerin einen Preis macht, für den sie die Ware verkaufen will. Davon bekommt sie Prozente, und nicht zu knapp. Das Geld erhält man erst, wenn der Verkauf vonstatten gegangen ist. Aber es ist trotzdem noch günstiger, als etwas ins Pfandhaus zu bringen, wo man ja nur einen Bruchteil des Wertes bekommt.
Die ältliche Frau mustert die Ware mit säuerlicher Miene (wie stets) und sagt (wie stets) mit schief gelegtem Kopf: »Ich weiß ja nicht, Fräulein ... also, ich kann es versuchen ... Tischwäsche geht im Moment schlecht. Und die Servietten haben Monogramme. Wer will denn schon ein fremdes Monogramm neben seinem Teller liegen haben, da weiß doch jeder gleich, dass es kein ererbter Wohlstand ist. Die Serviettenringe ... hm ... mal sehen. Also, das ist ja auch nur 330er Silber, und so hauchdünn ...«
Leonie hört geduldig zu, das kennt sie schon. »Wenn Sie nichtwollen, nehme ich die Sachen wieder mit«, sagt sie, und das ist auch jedes Mal so.
»Nein, nein, ich kann es ja versuchen, weil Sie es sind, Fräulein. Eine gute Kundin sozusagen. Fragen Sie in einer Woche wieder nach.«
Sie schreibt die Quittung aus – auf einen festen Taxpreis einigt man sich neuerdings nicht mehr, denn in einer Woche kann die Infl ationsrate schon wieder um ein paar Millionen gestiegen sein. Darum wird Leonie auch jeden Tag vorbeikommen, nicht erst in einer Woche, denn wenn die Ware veräußert ist, muss man mit dem erhaltenen Geld sofort einkaufen. Am nächsten Tag kriegt man vielleicht für die Summe nur noch »einen Apfel und ein Ei«.
Sie ist trotz allem ganz froh, dass die Frau ihr die Sachen abgenommen hat.
Nun, die leere Tasche am Arm schlenkernd, macht sie sich mit Herzklopfen auf, jene Gegend zu besuchen, in der sich die Grenadierstraße befi ndet und um die sie bisher meistens einen großen Bogen gemacht hat: das Scheunenviertel.
Es ist später Nachmittag, und sie nimmt sich fest vor, bei Einbruch der Dunkelheit wieder »draußen« zu sein. Es ist da nicht ungefährlich, heißt es.
Leonie nimmt die U-Bahn und steigt Schönhauser Tor aus, direkt am Bülowplatz. Der Platz ist idyllisch, gesäumt von gutbürgerlichen Wohnhäusern und beschattet von schönen Kastanien, hat er ein sanftes, fast verschlafenes Flair.
Sie wirft einen sehnsüchtigen Blick auf das mächtige Haus der Volksbühne, eins ihrer Lieblingstheater, wo Erwin Piscator seine aufrüttelnden Inszenierungen moderner Stücke zeigt, und macht einen kurzen Umweg zum Bühneneingang. Wenn man hier eine Arbeit als Aushilfe fände, irgendetwas! Aber die Tür ist verrammelt. Keiner da. Auch die Gewerke scheinen hier noch nicht wieder zu arbeiten. Spielpause.
Von dort sind es nur noch ein paar Schritte bis zur Hirtenstraße, wo dies verrufene Viertel beginnt.
Ja, sie geht langsamer auf einmal, schlendert fast. Hier warsie ja schon einmal und es hat sie erschreckt damals. So ein komisches Gefühl im Magen ist da. Nun, ausrauben wird man sie schon nicht – sie hat ja auch gar nichts, was man ihr nehmen könnte.
Sie schließt kurz die Augen. Dann überquert sie den Fahrdamm und biegt ein in die enge Straße.
Bevor sie sich überhaupt richtig umschauen kann, stürzen sich Gerüche auf sie. Sie stauen sich in der Gasse – Knoblauch und Fisch, Urin, verfaulende Abfälle. Was ihr entgegenkommt auf dem Gehweg, riecht nach Schweiß und billigem, durchdringendem Parfüm.
Wo ist sie hingeraten? Als Erstes stößt sie auf eine Taubenhandlung, Gurren und Flügelschlagen, »Tauben aller Rassen« steht da. Daneben Entengeschnatter aus einer Bretterbude. Ist das ein Esel, der da auf einem Hinterhof durchdringend schreit?
Und dann die Häuserfassaden, verkommener, bröckelnder Putz, fast bis zum First bedeckt mit hebräischen und deutschen Schriftzeichen: »Beste Butter – Kolonialwaren – Holz und Heringe – Gänse, geschächtet – Schul – Hebräische Bücher«, es rankt sich auch in den Durchgängen entlang, wo es zu den Hinterhöfen geht, fi nstere Schluchten. Sie steht und sieht sich um.
Auf einmal ist sie fast umzingelt. Mitten in der Gasse hineingeraten in eine Menschentraube. Lauter Männer in diesen schwarzen schleppenden Kaf tanen, mit großen Hüten oder Pelzmützen, langen Bärten
Weitere Kostenlose Bücher