Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
Provence.«
Musste ich dem armen Mädchen das stecken?, fragt sie sich gleich danach, als sie sieht, dass die andere vor Neid runde Telleraugen macht. Schnell fügt sie hinzu: »Ich bin von Verwandten eingeladen worden.«
Aber das macht es auch nicht besser. »Ach, gnädiges Fräulein sind Französin?«
»Nein.«
Ende der Konversation, bevor sie noch mehr Unbedachtes schwatzt.
An der Kasse dann bekommt sie noch einen Rabatt. »Den gewährt das Haus Wertheim immer unseren speziellen Kundinnen!«, sagt der Kassierer, devot und vertraulich zugleich.
Spezielle Kundinnen? Wieso ist sie eine spezielle Kundin?, fragt sie sich draußen.
Und dann dämmert ihr was. Das ist Wertheim, ein jüdisches Kaufhaus. Und sie kommt mit Dollars an und fährt ins Ausland auf Urlaub. Man hat sie wohl (brünett wie sie ist, »exotisch«) für eine Jüdin gehalten!
Gut, dass der Vater das nicht weiß. Er ist überhaupt nicht gut zu sprechen auf diese Juden. Er kann sie nicht ausstehen ...
Nun fehlt nur noch der Hut, der Hut mit der breiten Krempe, das »Wagenrad«. Den will sie nicht mit diesen Dollars bezahlen, den will sie sich von ihrem selbst verdienten Geld kaufen. Als sie im letzten Frühjahr im Hauptpostamt in der Oranienburger Straße Briefe sortiert und nebenbei Lessings »Minna von Barnhelm« auswendig gelernt hat, war das noch eine ganze Menge wert. Jetzt reicht es gerade so für einen Strohhut. Wer weiß, in einer Woche würde man dafür nur noch eine Tüte Zucker bekommen.
Und dann, reich beladen, geht’s nach Haus, um dem Vater die Schätze vorzuführen, große Modenschau. Da kann er vielleicht einmal wieder lächeln.
Mein letztes Französischlehrbuch habe ich eingesteckt, um während der Fahrt ein paar Redewendungen aufzufrischen. Dieser Gaston hat zwar in Deutsch geschrieben, aber es macht sich doch besser, wenn man sich in der Landessprache versucht. Meine Schillerdramen, die Ausgabe in dem ledernen Schutzumschlag, den mir meine Mutter zum zwölften Geburtstag geschenkt hat. (Ich lerne gerade die Rolle der »Maria Stuart«. Inzwischen bin ich so gut im Behalten, dass ich mir am Tag fast fünfzig Verse merken kann.) Und mehr Sachen zum Anziehen sind in meinem Gepäck, als ich eigentlich wollte. Vielleicht regnet es ja doch. Oder es ist kälter, als man vermutet. Der Koffer ist schwer.
Längst bin ich über die Berliner Stadtgrenze hinaus. Seen, Wiesen, Wälder, kleine Ortschaften.
Ich denke an die traurigen Augen des Vaters beim Abschied am Bahnhof, sein tapferes Lächeln. (Seit dem Tod der Mutter waren wir keinen Tag getrennt.) »Wenn du zurückkommst, habe ich vielleichtschon wieder eine Stellung«, sagte er und versuchte, zuversichtlich zu wirken.
Es war richtig, nicht auf diese wehmütige Stimmung einzugehen, sage ich mir. Es ist doch nur für zwei oder drei Wochen.
Ich bin aufgeregt. Und ich will mich freuen auf das, was kommt.
Doch, ich werde den Vater vermissen, das weiß ich schon jetzt. Und das Theater. Aber das, sage ich mir, hätte ich ja in Berlin auch nicht gehabt. Spielzeitpause.
HERMENEAU
1
Da bin ich nun also seit zwei Tagen wirklich und wahrhaftig in Südfrankreich, zwischen Olivenbäumen und Weinbergen, wohne in diesem Schloss, das natürlich ganz anders aussieht, als ich es mir vorgestellt habe, und meine beiden Gastgeber, zwei freundliche alte Leute, lassen mich eigentlich in Ruhe. Bisher sah man sich nur zu den Mahlzeiten. Aber nun, an diesem zweiten Abend in dieser fremden und berauschend schönen Gegend, wo für mich alles neu, alles fremd, alles leuchtend ist – da führen mich diese beiden Menschen, die erklären, meine Verwandten zu sein, hierher in eine noch unglaublichere Welt. Ich wage meinen Sinnen kaum zu trauen.
Ich bin auf einem Hochplateau in den Pyrenäen, und was hier um mich geschieht, das kommt mir vor wie Magie. Ein Zaubertheater.
Wir sind hinausgefahren mit diesem großen lang gestreckten schwarzen Auto – der Mann, der sich Gaston nennt, und seine Frau, die darum gebeten hat, mit dem Vornamen angesprochen zu werden. (»Sag einfach Isabelle zu mir, chérie!«) Immer höher hinauf in die Berge, auf gewundenen Serpentinen, hinein in den Sonnenuntergang. Haarnadelkurven, von Zeit zu Zeit ein Blick auf das dunkel schäumende Meer der Côte Rocheuse, der Felsenküste tief da unten – das Meer, dessen Anblick mich schon auf der Herfahrt vom Zug aus begeistert hatte. Immer neue, immer andere Ausblicke, so schnell auftauchend und wieder verschwindend wie die Bilder
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