Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
Familienhotel ohne sichtbare Gitter aus. Erst wenn man genauer hinsieht …«
»Was tippst du denn da?«, fragt Anne und schaut mir neugierig über die Schulter.
Ich klappe den Computer zu. »Eine Ausrede«, murmele ich. »Für den Familiencontest.«
Anne schließt das Fenster und legt Leonie in ihr Gitterbett. »Aus der Nummer kommen wir nicht mehr raus. Dein Machogehabe war einfach blöd, schon dafür hast du dir den Tritt verdient. Diese Supervision ist aber gar nicht so schlecht für unsere Geschichte. So musst du dich auf die Familie einlassen! Wenn du dich wirklich änderst, können wir diesen Preis gewinnen. Ein Happy End würde sich doch gut in der Story machen, oder?«
Offenbar sind wir uns ähnlicher, als ich dachte – auch wenn ich gegen und sie für die Familie schreiben will.
Ich streiche mir nachdenklich über die Bartstoppeln am Kinn. »Um ehrlich zu sein, hatte ich mir das auch schon gedacht.«
»Wie schön. Dann erzähl Leonie eine Gutenachtgeschichte. Da kannst du deiner Phantasie freien Lauf lassen, denn sie schläft leider nur sehr schlecht ohne Schnuller ein. Aber unsere sind blöderweise alle verschmort.« Sie gibt ihrer Tochter einen Gutenachtkuss. Dann nimmt sie ihr Handy.
»Ich rufe jetzt Leonhardt an und erzähle ihm, was für ein toller Vater er ist«, sagt Anne und deutet auf Leonie. »Schaffst du das?«
»Nein«, antworte ich ehrlich.
»Dann versuch es wenigstens.« Sie schließt die Tür hinter sich.
Leonie starrt mich ängstlich an. »Bitte Schwuli«, sagt sie leise. Ich schaue mich suchend im Zimmer um. Mein Blick fällt auf den Schlüssel, den Schlüsselanhänger, den Bernsteinschnuller. Warum nicht? Kinder werden doch ständig gegen die kleinsten Erreger geimpft. Da ist bestimmt auch eine Malariaprophylaxe dabei.
Ich entferne das Teil vom Schlüsselbund, wasche es sicherheitshalber gründlich ab und reiche es Leonie. Die steckt den Bernsteinschnuller, ohne zu zögern, in den Mund und nuckelt. Es schmatzt nicht so wie sonst, scheint aber zu funktionieren.
Ich schaue Leonie an, deute auf mich und sage: »Papa.« Doch sie starrt einfach nur geradeaus durch mich hindurch. Ganz leise höre ich hinter ihrem Bernsteinschnuller ein »Nein«.
Also wiederhole ich: »Papa!«
»Nein!«, diesmal etwas lauter. So wird das nichts.
Mein Blick fällt auf den Couchtisch. Dort liegt eine kleine, silberne Packung Gummimannles. Hat wahrscheinlich die Putzfrau dort hingelegt. Wie war das noch gleich mit der pawlowschen Konditionierung im Biologieunterricht? Forscher Pawlow hatte beobachtet, dass bei Hunden im Zwinger allein die Schritte des Herrchens, das Futter bringt, Speichelfluss auslösen.
Ich schaue von der Packung zu Leonie. Die lächelt.
Also nehme ich das Tütchen und halte es hoch.
»Weißt du, was Gummibärchen sind, Leonie?«
Annes Tochter, die offenbar merkt, dass ich da etwas Verbotenes habe, streckt die Hand aus. Ich öffne das Päckchen und gebe ihr ein Gummimannle. Leonie lutscht erst misstrauisch auf der Süßigkeit herum, doch dann werden ihre Augen immer größer. Wie eine Süchtige streckt sie die Finger nach dem kleinen Silbertütchen aus.
»Bitte, Caspar«, sagt sie.
»Papa«, souffliere ich.
Leonie nickt. »Bitte, Papa.«
Wenig später hat sie die Tüte geleert und mich zehnmal als ihren Vater bezeichnet.
Als Leonie wieder zufrieden am Bernsteinsauger nuckelt, erzähle ich meine erste Gutenachtgeschichte. Darin sucht Prinz Julio sein Königreich. Leider begegnet er der etwas älteren Problemprinzessin Anne Mosität, die von einem Terrorgnom besessen ist. Der hüpft ständig auf ihrem migränegeplagten, ungeschminkten Kopf herum. Der Terrorgnom will auch Prinz Julio befallen, obwohl der als einsamer Ritter, der rauchend dem Sonnenuntergang entgegenreitet, viel besser dran ist.
Bevor ich mir das Ende ausdenken kann, höre ich Leonie ganz sachte schnarchen. Offenbar sind meine Geschichten langweiliger, als ich dachte. Der Bernsteinschnuller ist ihr aus dem Mund geglitten, ich nehme ihn weg und hänge ihn wieder an den Zimmerschlüssel.
Sie sieht eigentlich ganz süß aus, wie sie da so friedlich schläft. Kommt wohl doch nicht so sehr nach ihrer Mutter. Leonie atmet so monoton und zufrieden, dass auch mir die Lider zufallen. Eigentlich wollte ich ja noch arbeiten, aber vielleicht mache ich mal kurz die Augen zu.
Irgendwann weckt mich Anne, um mir zu erklären, dass sie die Betten zusammenschieben muss, weil Leonie »ins große Betti« kommen will.
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