Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
Kind einer Frau angefasst, die gute Verbindungen zur Presse hat? Dann kann es nämlich richtig böse ausgehen …«
Die anderen Kursteilnehmer haben längst aufgehört zu tanzen und warten gespannt, ob sich Ambra gleich auf Anne werfen wird, um ihren sozialen Absturz noch zu verhindern. Ich muss Anne stoppen, bevor sie noch ihren Presseausweis zückt und unsere Tarnung auffliegen lässt.
Zum Glück schreitet die Hoteldirektorin ein.
»Gisela, jetzt reicht es. Das Maß ist voll.«
Die Tanzlehrerin fängt plötzlich an zu schluchzen. Sie greift in ihre graue Mähne und zieht sie mitsamt den drapierten Schleiern herunter: eine Hutperücke.
»Es tut mir so leid«, jammert sie. »Wenn ich eine so glückliche Familie wie euch drei sehe, erinnert mich das immer an das, was ich verloren habe.«
Glückliche Familie? Wie bitte? Ich höre wohl nicht richtig. Ambra lässt sich auf den großen Hintern plumpsen und wälzt sich aus den Schleiern.
»Ihr braucht eure Familienseele nicht zu finden, ihr tragt sie so deutlich in euch, dass sie alles überstrahlt.«
Das sehe ich aber anders.
Ambra erzählt, dass sie schon vor zehn Jahren im alten »Wilden Mannle« gearbeitet habe, als »Exotiktänzerin«. Damals sei sie schön, schlank und so selbstbewusst gewesen, dass ein reicher Gast um ihre Hand angehalten habe. Sie heirateten, bekamen Kinder, die wurden größer und Gisela älter. Irgendwo dazwischen erlosch der Familienfunke, und ihr Mann legte sich eine Geliebte zu. Gisela wurde krank, er wurde krank, dann reichten sie endlich die Scheidung ein.
»Wir machen eine kurze Pause«, unterbricht die Hoteldirektorin sie und nimmt die schluchzende Frau beiseite. Ich nutze die Zeit, um Anne zu beruhigen.
»Ich könnte diese Fettwurst erwürgen«, presst sie hervor.
»Gewalt ist kein Mittel zur Konfliktlösung«, höre ich mich sagen. »Außerdem ist sie schon ganz unten.«
Anne holt tief Luft und sagt einen Satz, den ich ihr nie zugetraut hätte: »Du hast ja recht.«
Frau Sommer räuspert sich ins Mikrofon. Etwa die Hälfte der Teilnehmer des Kurses hat die unfreiwillige Pause dazu genutzt, sich aus dem Staub zu machen. In den Blicken der Übrigen liegt statt anfänglicher Irritation die Vorfreude auf eine weitere peinliche Enthüllung.
Aber auf der Bühne steht nur noch Frau Sommer.
Gisela-Ambra hat unterdessen ihre Sachen zusammengesucht. Sie wirft einen letzten suchenden Blick in den Raum, erkennt aber offenbar, dass sie hier nichts mehr verloren hat, und verschwindet deutlich leiser, als sie gekommen ist.
»Bitte entschuldigen Sie die kleine Unterbrechung«, sagt Frau Sommer. »Es gibt eine kurzfristige Programmänderung. Unsere Gisela, ich meine, Ambra arbeitet ab sofort nicht mehr für unser Haus. Auf eigenen Wunsch.«
Frau Sommer wirkt sehr allein dort oben. Plötzlich scheint ihr ein Geistesblitz zu kommen. Sie geht zur Stereoanlage, kramt eine CD hervor, und wenig später dröhnen die ersten Takte eines Achtzigerjahre-Hits aus den Boxen: »I need a Hero« von Bonnie Tyler. Übergangslos wirft die Hotelchefin ihre distinguierte Zurückhaltung über Bord, springt auf die Tanzfläche und geht ab wie eine Rakete.
Entweder sie will die schlechte Stimmung im Raum mit einer Überdosis Ausgelassenheit bekämpfen, oder eines der älteren Kids hat ihr in der Pause Ecstasy in den roten Tee geschmissen. Aber offenbar hat es genau so einen Ausraster gebraucht, um die Reserviertheit der Gäste aufzuheben, denn einige Kinder lassen sich von der entsicherten Direktorin anstecken, die Eltern folgen.
Auch ich will Anne auf die Tanzfläche ziehen, denn irgendwie war es schön, sich mit ihr und Leonie zu bewegen. Doch Herr Fröhlich hat von der anderen Seite bereits Annes Hand genommen. Seine Frau tanzt unterdessen mit den Kindern. Meine Frau wirft mir einen entschuldigenden Blick zu.
»Nur einen Freudentanz mit der werdenden Mutter«, bittet Herr Fröhlich. Also schnappe ich mir Leonie und drehe mich mit ihr, dass sie nur so jauchzt. Anne und Herr Fröhlich tummeln sich unterdessen in einem sehr sportlichen Discofox. Perfekt ausgeführt, aber seelenlos. Dabei grinst der Kerl wie ein Tanzlehrer. Anne dagegen sieht nicht sehr glücklich aus.
Als der Song leiser wird und schließlich unwiderruflich im letzten Takt endet, packen die ersten Eltern ihre Kekse, Kuscheltiere und Trinkfläschchen zusammen. Nach dieser nur mäßig geglückten Tanzkursrettungsaktion scheint es allen recht zu sein, wenn wir die Angelegenheit
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