Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
Terrorgnom«, locke ich versöhnlich. »Ich bringe dir ein neues Wort bei.« Die Kleine schaut scheu hinter ihrer Mutter hervor. Ich lasse meine Augen durch den Massageraum schweifen. Mein Blick bleibt an dem Plakat eines Pärchens beim Saunagang hängen. Die beiden tragen ja nur Handtücher um die Hüften. Unter dem Motiv steht »Sauna für die Seele«. Ich deute auf die Brust der Frau.
»Das ist ein Busen, Leonie«, sage ich.
»Busen«, wiederholt sie und nickt.
Anne schaut mich mahnend an und macht die Reißverschlussgeste.
Leonie deutet auf das Dekolleté ihrer Mutter. »Mama kleiner Busen«, stellt sie fest.
Anne kneift grimmig die Augen zusammen.
Der Bademeister und ich grinsen uns einen. Meinem Rücken geht es gleich um einiges besser.
»Bewegung und Wärme tun Ihnen gut. Sie sollten sich heute viel bewegen und in die Sauna gehen«, rät mir mein neuer Freund und dreht mich auf die linke Hüfte, sodass ich mich aufrichten kann. »Sieht aber schon viel besser aus.«
Stolz lächle ich Anne und Leonie an. Die Kleine deutet mit dem Zeigefinger auf meinen nackten Oberkörper und grinst ebenso stolz.
»Caspar großer Busen«, stellt sie fest.
Jetzt ist es Anne, die mit dem Bademeister um die Wette grinst. Dabei hat der deutlich mehr Oberweite als ich.
Auf dem Rückweg durch die Lobby greift Leonie mit links die Hand von Anne und mit rechts die meine. Ein fremder Vater nickt mir zu, ein anderer lächelt anerkennend. Das Architektenpaar grüßt, und sogar Obi winkt. Die perfekte Tarnung! Sollte irgendjemand daran gezweifelt haben, dass wir eine echte Familie sind, so haben wir ihn jetzt überzeugt.
An der Rezeption checkt gerade ein grau melierter Manager mit auffällig breitem Kreuz ein. Er trägt eine lederne Reisetasche über der stämmigen Schulter.
»Ich würde Ihnen ja gern ein anderes Apartment anbieten«, erklärt ihm Jeannie, »aber wir haben leider keine günstigen Einzelzimmer mehr frei.«
Der Anzugheini entgegnet: »Geld spielt keine Rolle.«
Nach der Massage bin ich einfach zu entspannt, um mich über so einen Prahlhans zu ärgern. Gleichmütig lächle ich zu Anne hinüber und deute mit dem Kopf verächtlich zu dem Schlipsträger. Dann fasse ich mit der anderen Hand Leonies Ellbogen und bedeute Anne, das Gleiche zu tun.
Ich erkläre Leonie das Spiel »Engelchen, Engelchen, flieg«, das ich als Kind geliebt habe: an der Hand von Mama und Papa hoch in die Luft zu steigen. Aber Anne macht keine Anstalten mitzuspielen. Sie starrt mit offenem Mund zum Schlipsträger hinüber.
Ich sehe Leonie an. »Möchtest du mit Mama und Papa ›Engelchen, Engelchen, flieg‹ spielen?«
»Papa«, sagt Leonie leise. Geht doch.
Blöderweise sieht sie dabei nicht mich an, sondern starrt wie ihre Mutter zur Lobby hinüber. Jetzt lässt Leonie unsere Hände los.
»Papa!« ruft sie erneut – und rennt voller Freude zu dem großen Fremden. Der Bodybuilder geht in die Knie, breitet seine dicken Arme aus, fängt Leonie auf und drückt sie an sich.
»Überraschung!«, ruft er und freut sich, als wäre er selbst überrascht worden. Anne zuckt entschuldigend mit den Achseln und rennt dem Kerl ebenfalls in die Arme.
»Was machst du denn hier?«, ruft sie.
Der Kerl strahlt breit zurück und säuselt keck: »Ist rein beruflich.«
Ich stehe da und überlege, mal allein eine Runde »Engelchen, flieg« zu spielen. Und zwar aufs Zimmer. Aber noch haben die anderen Gäste nichts gemerkt. Vielleicht denken sie, wir haben einen guten Bekannten getroffen. Irgendwie wird es mir schon gelingen, mich aus der Nummer rauszuquatschen.
Jetzt küsst Anne den guten Bekannten auf den Mund, streichelt ihm zärtlich über das Gesicht und flüstert mit kaum glaubhafter Empörung: »Ich habe dir doch gesagt, dass du mich hier nicht überraschen sollst.« Noch ein langer Kuss, wie beim Happy End einer TV-Romanze.
»Aber ich habe dich doch so, so, so doll vermisst, mein kleiner Dickmops«, säuselt der Typ.
Ade, perfekte Tarnung, willkommen, Annes Verlobter. Wahrscheinlich hat sie ihm in ihren Telefonaten so sehr die Ohren vollgenölt, dass er persönlich das Revier abstecken wollte. Auch ich bekomme Herzklopfen – allerdings eher aus Angst, dass alles auffliegen könnte. Ich will meine Nachtlebenkolumne!
Jeannie sieht vom Empfangstresen erstaunt zu mir herüber. Ich grinse und nicke gleichmütig, als wären wir eine große Hippiefamilie und ich mit den Regeln der freien Liebe bestens vertraut. Bin ich aber nicht.
Es gibt ja so
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