Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
Verfügung stellt. Sie notiert die Namen der Familien und drückt jedem Teilnehmer als Willkommensgeschenk eine Papptüte mit drei Flaschen Bier in die Hand – eine davon alkoholfrei, »für die Kids«.
Wir sind die Letzten in der Schlange. Haben etwas länger gebraucht, weil sich Leonie partout nicht abschminken lassen wollte und erst bestochen, zurechtgewiesen, getröstet und belohnt werden musste.
Als ich endlich vor meiner großen Liebe stehe, fehlen mir die Worte.
»Hallo«, sage ich. Diese Augen!
»Hallo zurück«, flüstert sie mit verlegenem Lächeln. Dies ist die vorhin besprochene »nächste Gelegenheit«. Eigentlich müsste ich ihr jetzt von meiner falschen Familie erzählen, aber das bringe ich einfach nicht übers Herz. So stehen wir einen Augenblick schweigend da. Bis sich Anne bei mir einhakt.
»Möchtest du uns nicht vorstellen?«, fragt sie und mustert Adoré interessiert.
Die zeigt ihr Marketinglächeln. »Adoré Baroudel, Pressefrau im ›Wilden Mannle‹.«
»Anne Germoser, Ehefrau«, sie nickt zu mir herüber, »von diesem wilden Mannle. Ich habe meinen eigenen Nachnamen behalten – für alle Fälle.«
Adoré schaut mich überrascht an. »Du hast mir gar nicht erzählt, dass du verheiratet bist!«
Oje. Wie soll ich das bloß erklären? Am besten gar nicht.
»Ja, das habe ich wohl vergessen«, murmele ich.
Mr. Perfect nickt Adoré zu. »Wir kennen uns schon länger.« Erklärend fügt er hinzu: »Frau Baroudel war eine meiner VIP-Klientinnen in München.«
Anne wirft mir einen Dies-ist-eine-logische-Erklärung-Blick zu. Adoré schaut von ihm zu Anne.
»Ich dachte, Sie beide wären …«
»Nein«, winkt Anne ab. »Leonhardt ist mein Bruder und Leonies Patenonkel.«
Adoré schaut skeptisch. »Ihr Bruder? Und er ist extra hierher zu Besuch gekommen?«
»Ich habe sonst so wenig Zeit, die Kleine zu sehen«, meint Mr. Perfect jovial grinsend.
»Er mag sie halt so gern«, erklärt Anne.
»Ist kompiziert«, ergänzt Leonie und zieht an meiner Hand. »Papa, bitte Arm nehmen!«
Einen besseren Moment, mich mal Papa zu nennen, hätte sich die Kleine nicht aussuchen können! Auch Mr. Perfect reißt die Augen auf, seine breite Brust hebt und senkt sich nun deutlich schneller. Was soll ich machen?
Ich hebe Leonie hoch, und sie kuschelt sich tatsächlich an meine Schulter. Ich krame in meiner Hosentasche nach den Gummimannles und stecke ihr heimlich eines in den Mund.
Adoré schaut von mir zu Leonie. Ihr Mund lächelt, doch ihre Mimik ist starr geworden.
»Sie hat deine Augen, Caspar.«
Hinter Adorés Fassade zeichnet sich eine Härte ab, die ich das letzte Mal gesehen habe, als sie sich von mir getrennt hat. Ende Gelände.
»Hat mich sehr gefreut«, lügt Adoré ein paar Stimmlagen zu hoch und reicht uns die Papptüte mit dem Bier. »Die Kutschfahrt geht gleich los. Ihr habt die letzten Plätze. Viel Spaß! Leider kann ich nicht mitkommen, ich habe noch ein paar dringende Termine. Wir sehen uns hoffentlich später.«
Sie marschiert eilig davon und verschwindet mit gesenktem Kopf im Hotel.
Auch Anne und Mr. Perfect wirken nicht gerade glücklich. Kann ich verstehen. Ich würde es auch nicht mögen, wenn meine eigene Tochter in meinem Beisein einen anderen Mann als ihren Papa bezeichnet. Aber er musste ja unbedingt seiner Frau hinterherreisen. Ich greife in die Willkommenstüte und nehme das erste Bier heraus.
Schwitzen unterm Hollerbusch
Leonie hat gestern die ganze Kutschfahrt über, das ganze Abendessen lang und schließlich die ganze Nacht gejammert und gewimmert.
»Hast du Kaka?«, fragt Anne vor dem Frühstück. Leonie schüttelt nur traurig den Kopf. Ich auch. Eine Journalistin sollte sich echt gewählter ausdrücken. Außerdem fällt Verdauung unter Privatsphäre. Wenn mich Anne eines Morgens beim Verlassen des Schrankklos fragen würde, ob ich »Kaka habe«, würde ich mich sofort von ihr scheiden lassen. Auch Leonie scheint das Thema unangenehm zu sein. Sie entfernt sich immer wieder ein paar Meter von Anne und mir, hält sich am Bett oder am Schreibtisch fest und drückt mit zusammengepressten Lippen so sehr, dass ihr Tränen in die Augen treten. Irgendwann wimmert sie vor Schmerz. Alles klar: Verstopfung.
»Wir müssen das irgendwie aus ihr rauskriegen«, stellt Anne sachlich fest, als wäre sie ein Raumschiffcaptain, dessen Assistentin von Aliens geschwängert wurde. Aus den Augenwinkeln beobachte ich die beiden, während ich im Internet nach Tipps des
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