Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
zufällig taucht auch Mr. Perfect auf und setzt sich zu uns an den Tisch, obwohl Anne ihm Abstinenz befohlen hat. Mich nervt der Kerl mit seinem falschen Getue. Außerdem ist das Frühstücksbüfett vom irischen Clan komplett leer geräumt. Denen steckt wohl noch die letzte Hungersnot in den Knochen. Also verkrümele ich mich zum Lesen in die Lobby. Dort sitzt Adoré, als würde sie auf mich warten.
Sie will mit mir spazieren gehen.
»Können wir uns nicht heute Abend sehen?«, frage ich mit mindestens zweideutigem Unterton. »Vielleicht in deinem Zimmer?«
Aber Adoré schaut nur traurig aus ihren schönen Augen. »Wir müssen reden.«
Ich sehe nach draußen: Es regnet schon wieder.
Unter dem romantischen Dach eines Schirms mit dem Aufdruck »Zum Wilden Mannle« erklärt sie mir, dass »alles ein Fehler« war. Sie sagt, der Sex sei eine einmalige Sache gewesen, um der guten alten Zeiten willen – nicht weiter von Bedeutung. Ich glaube ihr kein Wort.
Und da sie schon einmal dabei ist, erzählt sie mir gleich noch, warum sie mich vor Jahren einfach wortlos verlassen hat. Sie sei damals verlobt gewesen und habe ihre Beziehung nicht zerstören wollen. Toll, das hätte sie mir ruhig mal damals sagen können. Außerdem hat sie sich wirklich nicht sehr verlobt benommen.
»Ein Jahr später habe ich mich scheiden lassen«, erklärt Adoré. »Nicht deinetwegen, du warst nur einer von vielen Gründen.« Autsch.
»Ich kann mich ja auch scheiden lassen«, entgegne ich. »Schon in einer Woche. Ist echt kein Problem.«
Sie schüttelt traurig den Kopf. »Du bist nicht nur verheiratet, du hast eine Tochter, die ihren Vater braucht. Den will ich ihr nicht nehmen.«
»Es ist nicht so, wie es aussieht«, setze ich an, aber Adoré winkt schon ab.
»Du bist mit Frau und Kind in einem Familienhotel. Heute Morgen warst du mit deiner Tochter auf dem Klo. Willst du mir sagen, das sei alles nur gespielt?«
Kurz denke ich an Herrn Schade, an die Kolumne, an Anne und ihre Halbtagsstelle, an meine berufliche Zukunft. Will ich all das für eine Frau aufs Spiel setzen?
»Ja«, sage ich. »Das ist alles nur gespielt. Ich bin hier undercover.«
Adoré lächelt. »Du hast mich immer zum Lachen gebracht, Caspar. Aber es ist zu spät. Du hast eine Familie, für die du sorgen musst. Ich werde dich nicht daran hindern.«
Sie nimmt mir den Schirm ab, bleibt stehen und stoppt auch meinen Schritt mit ihrer Hand auf meiner Brust. Dann gibt sie mir einen Kuss auf den Mund.
»Sehen wir uns später?«, frage ich verzweifelt.
Sie schaut mir tief in die Augen. Sind das darin Tränen oder Tropfen?
»Adieu«, haucht sie theatralisch und lässt mich im Regen stehen.
Wie ein angeschossener Zombie stapfe ich zurück ins Hotel. Im Speisesaal sitzen Anne und Leonie beim Kaffee. Allein. Mr. Perfect hat der Hoteldirektorin versprochen, sich mal das hauseigene Fitnesscenter anzusehen.
Ich setze mich zu meiner Fake-Familie.
»Caspar aua«, erkennt Leonie auf den ersten Blick.
Anne nickt. »Ich hole dir was Süßes, dann reden wir«, beschließt sie.
Als sie aufgestanden ist, leere ich eine ganze Packung Gummimannles vor Leonie aus. Sie steckt sich je einen in den Mund und sagt immer wieder: »Danke, Papa.« Das tröstet mich ein bisschen. Als Leonie einmal ein Gummimannle aus dem Mund fällt und ich mich bücke, um es aufzuheben, sehe ich am anderen Ende des Saals Adoré. Sie sitzt mit Frau Sommer am Tisch, offenbar haben die beiden eine berufliche Besprechung. Meine Laune sinkt um vierhundert Prozent.
Nur ein paar Tische von uns entfernt sitzen ein paar Iren, starren zu mir herüber und ziehen betrübte Gesichter. Als sich unsere Blicke treffen, steht ein irischer Vater auf und kommt mir mit gezücktem Taschentuch entgegen. Super, verarschen kann ich mich selbst. Genau genommen mache ich das gerade rund um die Uhr. Als der Mann direkt vor mir steht, simuliert er einen Nieser, den er mit dem Taschentuch auffängt. Dann hält er mir das karierte Stofftuch hin: »Don’t cry, little boy«, sagt er mit sarkastischem Unterton.
Aber da kommt Anne schon mit zwei großen und einer kleinen Schüssel voller weißem Sahnequark zurück. Sie sieht dem Iren hinterher, der sich nach seinem Scherz gleich zu seiner johlenden Familie verkrümelt hat.
»Inzest kann tatsächlich erschreckende Auswirkungen aufs Gehirn haben«, kommentiert Anne trocken und stellt mir das Dessert hin. »Das hier sollte dich entweder aufmuntern oder vergiften. Nennt sich
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