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Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Dreibettzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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geschlossene Tür hereindringt. Ich springe auf.
    Mr. Perfect zieht die Augenbrauen hoch. »Wenn du rausgehst, kannst du gleich abreisen. Wir haben gerade erst angefangen.«
    »Aber vielleicht ist Anne etwas passiert?«
    Er zuckt mit den Schultern. »Wir haben einen Deal.«
    Jetzt reißt jemand die Tür mit voller Wucht auf: der Architekt, das erkenne ich am schwarzen Bademantel.
    »Verzieh dich!«, brüllt Mr. Perfect. »Und Tür zu, verdammt noch mal! Checkt ihr das alle nicht?«
    Aber der Architekt macht keine Anstalten zu gehorchen. »Herr Hartmann, Herr Vogtlinger, bitte kommen Sie schnell.« Ich nicke, aber Mr. Perfect wehrt ab.
    »Ich gehe nirgendwohin. Sehen Sie nicht, dass Sie stören?«
    Der Architekt schaut erstaunt von Mr. Perfect zu mir. »Sie können Ihren Saunagang bestimmt später beenden.«
    »Mann, es geht hier um viel mehr!«
    Jetzt höre ich auch Leonie schreien und renne los.
    Vom Erholungsraum aus sehe ich das Kinderbecken weiter unten. Am Rand stehen Anne und die rothaarige Opernsängerin. Um die beiden Frauen hat sich ein Halbkreis aus Iren gebildet, ganz in der Nähe haben sich die anderen Gäste aus dem »Wilden Mannle« aufgebaut. Offensichtlich wollen sie den Iren jetzt die morgendliche Stepptanzerei und die tägliche Büfettplünderung heimzahlen. Leonie versteckt sich hinter Annes Oberschenkel, der kleine irische Junge weint jetzt. Weit und breit ist kein Bademeister zu sehen. Die Iren schreien gälische Schimpfwörter. So stelle ich mir einen Hexenaufstand im Mittelalter vor.
    Ich renne die Treppen zum Kinderparadies hinunter. Der Architekt ruft mir zu, dass sich der kleine Ire und Leonie um ein Quietscheentchen gestritten hätten. Irgendwie sei das Ganze dann ausgeartet.
    Kurz bevor ich unten ankomme, sehe ich, wie Anne die große Irin ins Kinderbecken schubst. Dann stürzt sie sich mit einem Schrei hinterher. Wenige Sekunden später stehe ich am Becken dem dickbäuchigen Vater gegenüber, der heute Morgen noch friedlich am Büfett geschlafen hat.
    Ansatzlos haut er mir seine Faust auf die Nase. Ich höre mein Nasenbein knacken, Tränen schießen mir in die Augen. Kann nichts mehr sehen. Instinktiv ramme ich ihm das Knie zwischen die Beine. Er fällt nach vorn, ich umklammere ihn, und wir stürzen gemeinsam ins Becken.
    Als ich hochkomme, sehe ich wieder ein bisschen besser: Der Architekt wird gerade von einer dicken rothaarigen Mutter mit einem Handtuchknoten vermöbelt, während Stanley seinen Bademantel abstreift, seine Tattoos entblößt, den Kopf in den Nacken wirft und so laut brüllt, dass Tarzan vor Schreck von der Liane gefallen wäre. Er sieht jetzt eher aus wie ein Serienmörder als wie der Gewinner des wichtigsten Ötztaler Pädagogikpreises. Mit Anlauf stürzt er sich mitten unter die Iren. Seine Frau steht ihm in nichts nach, schickt die Kinder zu Herrn Béla, knotet die Haare zusammen und folgt ihrem Mann in die Schlacht.
    Einzig unser ungarischer Betreuer bewahrt Ruhe, holt die kleinen Kinder eins nach dem anderen aus dem Becken und versammelt sie hinter sich. Der Nichtschwimmerbereich ist in Sekundenbruchteilen zur Arena geworden: Frauen ziehen sich an den Haaren, Männer boxen und ringen, mittlerweile ist überhaupt nicht mehr auszumachen, wer hier zu wem gehört.
    Momentan kann ich Mr. Perfect nirgends entdecken. Dabei mischt ein Muskelpaket wie er bestimmt ordentlich mit. Könnte mir gut vorstellen, dass er gerade mitten im Irenkessel steckt. Oder er greift unsichtbar unter der Wasseroberfläche an, wie der Weiße Hai. Wahrscheinlich wird er dafür heute Abend wieder als Gast der Woche gefeiert.
    Plötzlich höre ich laute Kinderstimmen. Sie streiten nicht, sie singen. Hinter Herrn Béla stehen die etwa zwanzig Kinder des Ausflugs Hand in Hand, gleich, welcher Nationalität, Haut- oder Haarfarbe. Sie halten sich alle an den Händen und singen:
    »Der Kuckuck und der Esel, die hatten einen Streit.
    Wer wohl am besten sänge, wer wohl am besten sänge,
    zur schönen Maienzeit, zur schönen Maienzeit.«
    Vielleicht kennen nicht alle Kinder den Text ganz perfekt, aber ihre Stimmen und ihr Anblick ernüchtern uns Raufbolde sofort. Wir verharren wie in Schockstarre. Männer lassen die Fäuste sinken, Frauen geben einander aus Schwitzkästen frei. Alle hören auf zu prügeln und schauen sich betreten an.
    Als die letzte Liedstrophe verklungen ist, schickt Herr Béla ein Kind nach dem anderen zu seinen Eltern zurück. Der Spuk hat vielleicht eine, höchstens zwei Minuten

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