Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
ich eure blöden Sprüche höre, ich sei nur eine Leihmutter oder so? Glaubt ihr, ich kriege das nicht mit?« Sie macht eine kurze Pause und schluckt. Wusste gar nicht, dass Anne so eine gute Schauspielerin ist. Jetzt rettet sie uns zumindest die Tarnung. Denn die eben noch so hämischen Gäste schauen nun betreten aus der Wäsche. Ein paar murmeln verlegen: »Stimmt.« oder »Ist ja gut.«
»Wollt ihr nun trainieren oder nicht?«, fragt Mr. Perfect, und man hört ihm an, dass er diese Frage nicht zum ersten Mal stellt.
Ich deute mit dem Arm einladend in Richtung Trainingsraum. Mr. Perfect macht den Anfang, die anderen Männer folgen, und die Mütter und Kinder verabschieden sich. Anne nimmt Leonie an die Hand und winkt zum Abschied.
»Bis heute Abend, Schatz«, sagt sie mit kokettem Grinsen. Dann verschwinden die beiden um die Kurve hinter einer bunten Glastür mit der Aufschrift »Familienparadies«.
Als ich den Trainingsraum betrete, hält mir mein Chef eine dunkle Trainingshose und ein weißes T-Shirt hin. Wenig später schleudere ich den Burschen zu Boden.
Nach diesem Befreiungsschlag läuft der Kurs besser, als ich gedacht habe. Klar, das sind keine Profis, aber ich kann ihnen ein paar Schläge und Tritte beibringen, wir kommen alle ordentlich ins Schwitzen, und selbst Mr. Perfect ist eifrig bei der Sache. Vielleicht ist er doch kein so schlechter Kerl, wenn er auch manchmal den Abstand nicht richtig einschätzt und mir den einen oder anderen Schlag verpasst. Die beste Figur aber macht mein Chef, der offenbar nur ein paar Gürtelstufen unter mir liegt. Er kann auch ein paar Schläge in die Bauchgegend locker wegstecken.
In den Verschnaufpausen fragen wir gemeinsam nach den Nöten und Ängsten der anderen Männer. Sie schütten uns genauso rücksichtslos ihr Herz aus, wie ich mir das gewünscht habe. Einer der Iren unternimmt zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder etwas allein, ein anderer ist froh, endlich mal seine Energie loszuwerden, weil er seit einem halben Jahr keinen Sex mehr hatte. Der Architekt reißt plötzlich Frauenwitze, Stanley Fröhlich zeigt seine Tattoos, ein rothaariger Mittdreißiger schlägt vor, »so was regelmäßig zu machen«, und sein Kumpel, ein Brillenträger, gesteht mir mitten im schönsten Sparring, dass er jede Nacht von seiner Jugendliebe träumt: eine Gala der verpassten Lebensentwürfe. Eigentlich sollte man all diesen Männern zur Scheidung raten. Das werde ich auch machen – in meinem Artikel.
Nach dem Training sind alle Vorbehalte gegenüber mir oder Mr. Perfect wie weggeblasen. Mein Chef bietet mir sogar das Du an. Die Nachtlebenkolumne rückt wieder näher.
Abends im Bett bittet mich Anne, Leonie etwas von der Reise mitzubringen, nur eine Kleinigkeit. »Ein guter Vater macht so etwas.«
Die ist ja lustig. Ich glaube nicht, dass ich zwischen Geröllfeldern und Bergseen einen Kinderladen entdecke. Trotzdem gebe ich Anne mein Wort. Ich höre Leonie ganz leicht im Schlaf seufzen. Meine Mutter hat mir mal erzählt, dass ich das auch immer gemacht habe und sie es »total putzig« fand. Gerade kann ich sie verstehen.
»Was denkst du?«, will Anne wissen. »Mal ganz ehrlich.«
Ich fasse mir ein Herz. Mein Mund wird trocken, aber diese Frage muss noch raus.
»Ist Leonie meine Tochter?«
Annes Lächeln erstirbt. Hinter ihren Augen schließen sich Türen, Tore fallen herab und verriegeln alle Zugänge.
»Nein«, sagt sie mit fester Stimme, die so eisklar ist, dass sie Diamanten schneiden könnte.
»Ich dachte nur, weil wir damals …«, rudere ich verlegen im freien Fall herum.
Anne lässt mich abstürzen. »Sie ist nicht deine Tochter.«
»Aber woher weißt du das so genau? Hast du jemals einen Test gemacht? Oder ist das wieder diese weibliche Intuition?«
Die eben noch ganz angenehme Atmosphäre hat sich mit einem Mal ins Gegenteil verwandelt. Annes Miene ist wie aus Marmor, aus schwarzem Marmor.
»Ich brauche keinen Test, Caspar Hartmann. Eine Mutter weiß solche Dinge«, zischt sie. »Und ein Mensch, der noch einen Funken Anstand in seinem offenbar völlig verdorbenen Gehirn hat, sollte das gefälligst akzeptieren!«
Was habe ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Verstehe einer die Frauen – ich kann es nicht.
»Gute Nacht, Anne.«
Wortlos macht sie das Licht aus.
Über den Berg
Kurz nach Sonnenaufgang sieht das Paleo-Camp aus, als wäre hier ein prähistorisches Liverollenspiel in vollem Gange: Neandertaler und Steinzeitmenschen tummeln sich in
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