Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
barfuß weiterlaufen. Mr. Perfect und ich werfen uns einen zweifelnden Blick zu, während wir aus unseren Schweinsblasen Wasser trinken. Aber was soll’s? Stanley ist alt genug. Und früher ging es auch ohne Softshell. Tatsächlich streift er die Lederlappen ab und hängt sie zum Trocknen an seine Kraxe.
Anfangs rutscht er noch gelegentlich auf glatten Stellen aus, aber schnell fängt er sich und läuft bald wieder sein altes Tempo.
Nach der Mittagspause frischt das Wetter auf, und ich bin froh über meine lange Unterhose. Wie kalt Stanleys nackte Fußsohlen sein müssen, will ich gar nicht wissen – von anderen Körperteilen ganz zu schweigen. Wer so etwas tut, hat sich den Bubsi in Platin wirklich verdient. Wie selbstverständlich hat Stanley gleich nach dem Start die Karte übernommen, die wir von Adoré bekommen haben. Sie hat den Plan als eine Art prähistorische Schatzkarte layouten lassen, mit seltsamen Zeichnungen von Totenköpfen, Yetis und Mammuts.
Oberhalb der Waldgrenze, auf etwa zweitausenddreihundert Metern, kommen wir an zwei Steinruinen vorbei, die laut Stanley früher als Hirtenbehausungen gedient haben.
»Eine der Ruinen ist das Labyrinth«, erklärt Stanley. »Darin gibt es einen Gang, der spiralförmig zu einem kleinen Raum führt. Wahrscheinlich für unartige Kinder.«
»Oder für nervige Ehefrauen«, schlägt Mr. Perfect vor.
Ich überlege kurz, ob ich mich einfach da verstecken könnte, bis diese elende Bergsteigerei vorbei ist. Wir haben nicht einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt, und je dünner die Luft wird, desto mehr gerate ich aus der Puste. Laut Stanleys Schatzkarte führt unser Weg jetzt direkt auf das Tiesenjoch zu, auf dem im Jahr 1991 die berühmte Gletscherleiche gefunden wurde.
»Der letzte Abschnitt vor der Similaunhütte ist etwas felsig«, erklärt Stanley und deutet auf die Karte. »Ihr habt doch kein Problem mit einem Kletterstei. . . aaaah!«
Ich höre ein trockenes, helles Knacken, wie wenn jemand Feuerholz zertritt. Stanley liegt am Boden und hält sich den nackten Fuß. Seine Augen sind vor Erstaunen weit aufgerissen.
»Ausgerutscht!«, erklärt er und deutet auf einen vor Feuchtigkeit glänzenden Stein. Dabei ringt er sich ein gequältes Lächeln ab. Auf einmal sieht er ziemlich käsig aus. Ich reiche Stanley die Hand. Er greift sie und zieht sich hoch, während er den umgeknickten Fuß vorsichtig in der Luft hält.
»Kannst du auftreten?«, erkundige ich mich.
Stanley, der noch weniger Schmerz kennt als alle indigenen Völker zusammen, tippt vorsichtig mit dem großen Zeh auf. Im nächsten Moment brüllt er wie ein angeschossenes Mammut und lässt sich wieder auf den Boden fallen. Sein Knöchel ist jetzt schon so dick wie eine kleine Melone.
Mr. Perfect, der ein Stück vorgelaufen ist, schaut nach oben. Er wirkt unzufrieden.
»Bestimmt schneit es heute noch«, meint er und dreht sich zu uns um. »Vielleicht solltet ihr euer kleines Päuschen nicht zu lang ausdehnen.« Dann fällt sein Blick auf Stanleys Knöchel. Er kommt näher, fasst das verletzte Bein an der Wade und hebt den Unterschenkel hoch.
»Kannst du ihn bewegen?«
Stanley beißt die Zähne zusammen und schüttelt den Kopf. »Hat böse geknackt«, erklärt er. »Habe nicht hingeschaut, bin weggerutscht und mit dem ganzen Gewicht auf die Fußkante gefallen.«
Mr. Perfect zieht die Augenbrauen hoch. »Der Fuß ist im Arsch. Wenn du jetzt einen Bergschuh anhättest, würde ich sagen, der ist höchstens verstaucht, aber so …« Er schüttelt den Kopf. »Glückwunsch. Wir haben hier einen selbst verschuldeten Knöchelbruch in den Bergen. Und mit etwas Glück fängt es heute noch an zu schneien. Den Klettersteig können wir vergessen.«
Stanley sitzt da wie ein verletzter Fußballspieler, der im WM-Finale ausgewechselt werden soll. Den dicken Fuß hat er auf einen Felsen gelegt.
»Du Weichei hast doch bestimmt Schmerztabletten dabei«, höhnt Mr. Perfect in meine Richtung.
Ich schüttele den Kopf und zücke stattdessen meinen Flachmann. Stanley nimmt einen tiefen Schluck. Dann beißt er die Zähne zusammen und stützt sich hoch. Kurz versucht er, mithilfe seines prähistorischen Wanderstocks zu hüpfen, knickt dabei aber um ein Haar nochmals um. Es gibt nur eine Möglichkeit, ihn heil oder wenigstens halbwegs heil vom Berg zu bekommen.
Mr. Perfect stöhnt. Dabei hat er eindeutig viel mehr Erfahrung beim Tragen von Männern gesammelt als ich. Er schultert Stanley, während ich die
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