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Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Dreibettzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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Frau bei H&M.
    An der Startlinie notiert sich ein als Ötzi verkleideter Student die genauen Startzeiten der Dreierteams. Dazwischen liegen jeweils zwanzig Minuten, um Gerempel auf der Strecke zu verhindern. Aber eigentlich scheinen selbst die finstersten Gesellen hier ganz friedlich – im Gegensatz zu Anne.
    Die ist nämlich immer noch sauer auf mich.
    »Wenn du glaubst, dass du Leonies Vater bist, stellst du meine Familie infrage, mein ganzes Leben. Dazu hast du kein Recht«, hat sie mir gleich nach dem Weckerklingeln an den Kopf geworfen. Dann ist sie schwerst beleidigt mit Leonie zu Mr. Perfect abgedüst. So hatte ich ein bisschen Zeit, im Internet zu stöbern.
    Dort habe ich schnell ein Labor gefunden, das sich auf Vaterschaftstests spezialisiert hat. Man braucht bloß zwei DNA-Proben einzuschicken, Blut, Haare oder Hautpartikel. Bevor ich mich jetzt weiter mit Unsicherheit quäle, habe ich mir ein Tröpfchen Blut aus meiner desolaten Nase abgezapft und auch von Leonie eine DNA-Probe genommen. Ja, ich weiß, so etwas macht man nicht. Aber Anne hat es nicht mitgekriegt und Leonie auch nicht. Natürlich habe ich der Kleinen keine Haare abgeschnitten und keine Babyhaut abgeschabt. Ich habe ihr einfach eine volle Windel geklaut. Die habe ich nicht in den Müll, sondern heute Morgen in einem wattierten DIN-A4-Umschlag in den Briefkasten gesteckt. Das Ergebnis soll innerhalb von achtundvierzig Stunden per Kurier eintreffen – persönlich, damit der Test in keine falschen Hände gerät.
    Es ist ja auch nur, um ganz sicherzugehen. An dem Wort des Oberarztes, der vor zwanzig Jahren im Krankenhaus traurig meine jägerzaungeschädigten Testikel betrachtete, habe ich nie gezweifelt. Und wenn ich mal aus irgendwelchen Gründen mehrwöchige Affären hatte und alles passte, haben wir einfach das Kondom weggelassen – und nie ist eine schwanger geworden. Bisher fand ich das eher praktisch als traurig.
    Aber was, wenn Leonie trotz aller medizinischen Gutachten tatsächlich meine Tochter ist? Soll ich dann mit Anne zusammenziehen? Oder mit ihr um das Sorgerecht für Leonie prozessieren? Als alleinerziehender Vater auf das Nachtleben und meine Kolumne verzichten? Auf keinen Fall.
    Es ist zehn Uhr. Anne küsst Mr. Perfect zum Abschied – mich würdigt sie keines Blickes. Dann laufen wir los. Die Pausen eingerechnet, sollten wir gegen drei Uhr die Similaunhütte erreichen. Stanley legt mir mitleidig eine Hand auf die Schulter. »Eines hat sich seit der Steinzeit nicht geändert: Am meisten lieben wir Männer die Frauen, wenn sie uns wie Dreck behandeln.«
    Ich schaue betreten auf meine Füße und konzentriere mich auf meine Schritte. Im Gegensatz zu Mr. Perfect und mir trägt Stanley keine Wanderschuhe an den Füßen, sondern ein mit Hirschfell überzogenes und mit Stroh ausgestopftes Bastgerüst – die »Moonboots der Steinzeit«, wie er selbstbewusst verkündet. Hirschfell? Hoffentlich werden wir unterwegs nicht wegen Wilderei verhaftet. Als Stanley meinen skeptischen Blick bemerkt, erklärt er stolz, die Schuhe seien exakt die gleichen, mit denen Ötzi einst auf Wanderung ging: Jetzt kann er endlich in einem »authentischen Outfit eine authentische Tour« absolvieren.
    Die Wanderer, die uns in bunter Funktionskleidung entgegenkommen, sind von seinem Look begeistert. Viele bitten uns um ein Foto, einige setzen sich ungefragt Stanleys Fellmütze auf oder schnippen ihre Asche in den Kokosnussbehälter, woraufhin Stanley ihnen einen Vortrag über die leichte Entzündbarkeit von Zunderschwamm und den Sittenverfall der Postmoderne hält.
    Ich schnappe nur Fetzen auf wie: »Früher ging es auch ohne Softshell« oder: »Da hat einen keiner blöd angeschaut, wenn man mal in Leder mit nichts drunter rausging.«
    Auch Mr. Perfect und ich geben uns mittlerweile authentisch: Wir meiden uns, wo wir können. Er geht voran, Stanley in der Mitte, ich bilde den Schluss. So marschieren wir über sommerliche Wiesen, durch schattige Waldstücke, an Bergbächen entlang, durch karge Landschaften und über gewundene Wege voller Schafköttel.
    Nach zwei Stunden haben Stanleys Steinzeit-Moonboots die ersten Löcher. Außerdem sind die Raulederlappen seiner Sohlen klatschnass vom feuchten Gras. Das Heu im Schuh speichert offenbar Wasser, das Leder scheuert auf der dünnen Beamtenhaut.
    Bei der nächsten Pause zeigt uns Stanley widerwillig zwei riesige Blasen an seinen Fersen. Da es in der Steinzeit keine Blasenpflaster gab, will er von nun an

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