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Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Dreibettzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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fuchtelt Anne mit den Armen in Richtung Krankenwagen. Sie hat Tränen in den Augen.
    Leonie fängt an zu weinen. Und auch mir ist ehrlich gesagt zum Heulen zumute.
    Ich stecke meine Hände tief ins Fell. Darin fühle ich etwas Raues, Hartes – ein Stück Holzkohle vielleicht. Ich ziehe es aus der Tasche und betrachte es genauer. Stanley hatte recht: ein offenbar aus Horn geschnitztes Tier. Von den vier Beinen ist eines abgebrochen, aber man kann noch deutlich die Umrisse erkennen. Ich drücke Leonie das Urzeitspielzeug in die Hand. Sie schaut es an und grinst.
    »Hund?«, fragt sie.
    »Wauwau«, antworte ich. Die Feindseligkeit verschwindet aus Annes Blick.
    »Können wir bitte kurz unter vier Augen miteinander reden?«, frage ich leise. »Ich kann dir alles erklären.«
    Mr. Perfect nimmt mir Leonie weg und marschiert ins Hotel zurück. Anne nickt. »Fünf Minuten. Wenn Leonie eingeschlafen ist.« Dann folgt sie ihrem Verlobten und ihrer Tochter.
    Eine halbe Stunde später treffe ich im Ruheraum Herrn Schade, der mit Nadine auf einem sockelartigen Wärmestein liegt. Während Nadine ihn massiert, berichte ich Schade von meinem Abenteuer. Er öffnet nicht mal die Augen, sondern murmelt nur: »Da haben Sie ja eine Menge spannende Sachen zum Aufschreiben. Verlieren Sie nur nicht den Fokus aus den Augen.«
    »Herr Eisenstein liegt im Krankenwagen«, stammle ich verdattert.
    Schade zieht die Augenbrauen hoch. »Wahrscheinlich eine Überdosis Viagra.« Er wiehert vor Lachen. »Aus Angst, dass Sie mit seiner Alten abhauen, Sie Hengst.« Nadine sieht mich an und verdreht die Augen. Ich überlasse die beiden ihren eigenen Umgangsformen.
    Nach einer Stunde im Whirlpool, einem von Herrn Béla improvisierten deftigen Abendessen und einer Massage habe ich wieder genug Energie für einen kleinen Streit mit Anne.
    Besser, als sie heute gar nicht mehr zu sehen. Außerdem mag ich irgendetwas an der Art, wie sie schimpft. Sie ist dann immer so leidenschaftlich.
    Leonies Schlaflicht taucht unser Zimmer in ein seltsames Halbdunkel. »Leonhardt ist in seiner Suite, er muss noch arbeiten«, erklärt Anne. Es klingt sowohl nachsichtig als auch erleichtert.
    Mr. Perfect hat ihr eine dubiose Geschichte aufgetischt: Als es anfing zu schneien, habe er langsamer gehen wollen, weil er befürchtete, dass sich jemand verletzen könnte. Aber ich sei einfach immer schneller vorangelaufen. Als Mr. Perfect mal kurz hinter einen Busch verschwand, sei ich mit Stanley Fröhlich einfach abgehauen – wobei Mr. Perfect bezweifelte, dass »der gute Herr Fröhlich freiwillig mitgegangen« ist.
    »So ein Lügner!«, ereifere ich mich und berichte von Stanleys wahrer Verletzung und meiner Rettungsaktion. Anne glaubt mir kein Wort. Sie bezeichnet mich im Flüsterton als »verantwortungslos«, »unverbesserlich machomäßig« und als »moralisch fragwürdig«.
    Ich wehre mich nicht, weil sie mir eh nicht glauben würde. Außerdem schläft Leonie schon friedlich in ihrem Kinderbett. Dabei sollte ich Anne wirklich von Mr. Perfects Betrügereien erzählen. Andererseits haben wir bei unserer Männerehre geschworen, den anderen nicht zu verraten. Das zählt. Also widerspreche ich einfach nicht, als mir Anne so viele schlechte Eigenschaften attestiert, dass ich mich in Afrika als Diktator bewerben könnte.
    Kurz bevor sie mich aus dem Zimmer wirft, bitte ich sie, bei Stanleys Frau anzurufen.
    »Dann gehst du?«, will Anne wissen. Ich nicke – auch wenn ich nicht weiß, wohin ich eigentlich gehen sollte.
    Wenig später hält Anne den Hörer in der Hand. Sie sagt nicht viel, offenbar strömt es nur so aus Frau Fröhlich heraus. Als sie auflegt, scheint Anne hin- und hergerissen. Ihre Augen suchen einen Fixpunkt im Zimmer, an dem sie sich festhalten können.
    »Wem soll ich denn jetzt glauben?«, fragt sie. »Leonhardt hat mich noch nie belogen.«
    »Anne, ich …«, beginne ich, versehentlich in Zimmerlautstärke.
    »Scht!«, macht sie und deutet auf Leonie. Wir ziehen den schützenden Trennvorhang vor ihr Kinderbett – auch wenn der nicht halb so schalldicht ist wie das Schrankklo.
    »Warum kann denn nicht alles einmal ganz einfach sein?«, fragt sie mit leiser Verzweiflung in der Stimme. Wir stehen mitten im Raum und wissen nicht, wohin mit unseren Händen.
    »Das Herz von Herrn Eisenstein ist einfach stehen geblieben, als seine Frau gestorben ist«, flüstere ich.
    Plötzlich spüre ich Annes Lippen auf meinen. Mein Herz klopft, nein springt, will raus aus

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