Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
Und wo ist Leonie? Die Umrisse des Körpers gehören eindeutig einem Erwachsenen. Aber wem?
Ich kann nicht anders, springe blitzschnell in den Wagen und ziehe das Laken am Kopfende hoch. Das Gesicht darunter ist tot. Die Züge sind eingefroren, fahl, blass. Ich kenne dieses Gesicht gut. Es gehört nicht Mr. Perfect und zum Glück auch nicht Anne – dafür hat die Tote zu viele Falten und ein zu gütiges Lächeln. Vor mir liegt Oma Eisenstein.
»Was machen Sie da?«, fragt mich der Sanitäter wütend und greift meinen Arm. »Gehören Sie zur Familie?«
Der Patient unter der Sauerstoffmaske funkelt mich böse an. Jetzt erkenne ich ihn auch: Opa Eisenstein. Unter seiner Trage liegt bewegungslos der greise Dackel. Der hätte auch eine Sauerstoffmaske verdient.
»Nein«, entgegne ich. »Nur ein flüchtiger Bekannter. Details wollen Sie nicht wissen.«
»Dann halten Sie uns nicht auf!«, befiehlt der Sani und zieht das Laken wieder über Oma Eisensteins Gesicht. Er schiebt mich rüde aus dem Krankenwagen. Ich stolpere dem Architekten direkt in die Arme. Seine schwarze Kleidung erscheint mir heute ausnahmsweise einmal angebracht.
»Alles klar?«, will er wissen.
Ich nicke und deute mit dem Kopf zum Krankenwagen.
Der Architekt folgt meinem Blick. »Als seine Frau gestorben ist, hat der alte Mann einen Herzinfarkt erlitten.« Sein Mund deutet ein Lächeln an, das erste, das ich von ihm sehe. »Wahre Liebe.«
Jetzt kommt auch Anne mit Leonie auf dem Arm die Treppe herunter. Würden jetzt Pamela Anderson, Megan Fox oder die echte Reese Witherspoon in voller Abendgarderobe die Stufen herunterschreiten, sie könnten mich nicht so umhauen wie Anne. Dabei trägt die bloß einen Bademantel und ein Handtuch um den Kopf. Aber in ihrem Blick liegt etwas, das ich bisher noch nicht gesehen habe. Die Art, wie sie geht, keine Ahnung, ihre breiten Hüften, ihr Mund, das alles müsste mich kaltlassen. Tut es aber nicht.
Anne setzt ihre Tochter auf den Boden. Sofort rennt Leonie in ihrem tapsig-unsicheren Laufschritt mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Ich hebe sie hoch und drücke sie an mich. Sie presst ihren Kopf an meine Schulter. Nachdem wir uns kurz geknuddelt haben, will ich auch Anne in den Arm nehmen, aber die weicht mir aus. In ihren Augen blitzt Wut auf.
»Was bist du nur für ein Mensch?«, schleudert sie mir entgegen.
Das kann doch wohl nicht wahr sein. Da rette ich ein Leben, leihe ihrem Verlobten meine Unterhose, und sie macht mir auch noch Vorwürfe? Ich schließe die Augen und reibe mit Daumen und Zeigefinger meine Nasenwurzel. Als ich die Augen wieder öffne, sehe ich den grinsenden Mr. Perfect hinter Anne. Er trägt ebenfalls einen Bademantel, offenbar kommt er auch aus dem Spa. Seinem Blick nach ist er genauso verwundert, mich zu sehen, wie ich überrascht bin, dass er hier ist. Hinter Annes Rücken deutet er mit einer Hand die Reißverschlussgeste an.
Jetzt reicht es. Ich schiebe Anne beiseite und greife Mr. Perfect am Revers des Bademantels. Er macht keine Anstalten, sich zu wehren, sondern schaut mich nur mit leerem Grinsen an.
»Du hast keine Hilfe geholt«, keuche ich. »Du wolltest uns erfrieren lassen!«
Mr. Perfect schlingt seine Arme um mich und drückt zu.
»Wie schön, dass du wieder da bist!«, ruft er laut und flüstert in mein Ohr: »Du hast keine Ahnung, worum es hier geht. Ein Wort zu Anne, und ich mache dich fertig.«
Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, drückt er fester zu. Kriege kaum noch Luft, meine Wirbelsäule ächzt.
»Wir haben dich so vermisst!«, ruft er, mehr zu den umstehenden Gästen als zu mir.
Anne stellt sich hinter ihn. »Vergiss nicht, dass Caspar dich im Stich gelassen hat«, ergänzt sie böse und wendet sich zu mir. »Das hätte ich nie von dir gedacht – nicht nach all den Tagen hier.«
Ich sehe sie traurig an. Was soll ich ihr erzählen? Die Wahrheit glaubt sie mir sowieso nicht, außerdem hat Mr. Perfect wahrscheinlich schon von meiner geheimen Mission geplaudert.
»Anne, ich bin um fünf Uhr aufgestanden, habe einen Berg erklettert, wäre fast erfroren und habe Stanley das Leben gerettet. Keine Ahnung, was dieser Typ dir erzählt hat, aber es ist eine Lüge.«
Sie stemmt ihre Fäuste in die Hüften und zischt: »Jetzt reicht es! Erst willst du mir nicht glauben, dass Leonhardt der Vater meiner Tochter ist, und jetzt ist er auch noch ein Lügner? Du hast ihn einfach im Stich gelassen! Ihm hätte sonst was passieren können!« Bei den letzten Worten
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