Dreifach
Kapitän, Eriksen, war nur an Sicherheit und guter Seemannsarbeit interessiert, doch sogar auf diesem Gebiet waren seine Maßstäbe nicht allzu hoch. Das Deck wurde gelegentlich geschrubbt, doch nichts wurde je poliert oder gestrichen. Das Essen war recht gut, und Tyrin hatte den Vorteil, eine Kabine mit dem Koch zu teilen. Theoretisch mußte er sich zu jeder Tages- und Nachtstunde bereithalten, Funksignale auszusenden, aber in der Praxis spieltesich der ganze Funkverkehr während des normalen Arbeitstages ab, so daß er jede Nacht sogar seine acht Stunden Schlaf bekam. Es war eine geregelte Lebensweise, und darauf legte Pjotr Tyrin Wert.
Leider war das Schiff alles andere als behaglich. Die Coparelli war ein Luder. Sobald sie Kap Wrath umrundet, The Minch und die Nordsee hinter sich gelassen hatten, begann sie zu stampfen und zu rollen wie eine Spielzeugjacht im Sturm. Tyrin wurde sogar seekrank, aber er mußte es verheimlichen, da er ja vorgab, hauptberuflich Matrose zu sein. Zum Glück geschah es, während der Koch in der Kombüse zu tun hatte und Tyrin nicht im Funkraum gebraucht wurde. Deshalb konnte er sich in seiner Koje flach auf den Rücken legen, bis das Schlimmste vorbei war.
Die Quartiere waren schlecht gelüftet und unzureichend geheizt. Sobald es also oben etwas feucht wurde, füllte nasse Kleidung, die zum Trocknen aufgehängt war, die Messedecks und beeinträchtigte die Stimmung noch mehr.
Tyrins eigene Funkausrüstung befand sich – gut geschützt von Polyäthylen, Segeltuch und einigen Pullovern – in seinem Seesack. Er durfte sie jedoch nicht in der Kabine aufstellen und benutzen, da der Koch oder jemand anders ihn hätte überraschen können. In einem ruhigen, aber trotzdem aufregenden Moment hatte er, als niemand zuhörte, den Routinekontakt mit Moskau auf dem Funkgerät des Schiffes hergestellt. Aber er brauchte größere Sicherheit und Zuverlässigkeit.
Tyrin liebte die Gemütlichkeit. Während Rostow von einem Botschaftsgebäude in ein Hotelzimmer oder einen Schlupfwinkel umziehen konnte, ohne von seiner Umgebung Notiz zu nehmen, zog Tyrin es vor, einen Stützpunkt zu haben, der behaglich und sicher war. Bei einer ortsfesten Überwachung – jene Art von Auftrag, die ihm am meisten zusagte – stellte er sich immer einen großen Sessel vor das Fenster, saß stundenlang am Teleskop undwar vollkommen zufrieden mit seiner Tüte belegter Brote, seiner Limonadenflasche und seinen Gedanken. Hier auf der Coparelli hatte er eine Stelle gefunden, um sich gemütlich einzurichten.
Er hatte das Schiff tagsüber erforscht und im Bug, jenseits der vorderen Luke, ein kleines Labyrinth von Speichern gefunden. Der Schiffskonstrukteur hatte sie dort eingefügt, nur um die Lücke zwischen dem Laderaum und dem Bug auszufüllen. In den Hauptspeicher gelangte man durch eine halb versteckte Tür und über eine Treppe. Er enthielt einiges an Werkzeug, mehrere Fässer Schmierfett für die Kräne und – unerklärlicherweise – einen rostigen alten Rasenmäher. Mehrere kleinere Räume schlossen sich an: Manche enthielten Taue, Maschinenteile und verfaulende Pappschachteln mit Schrauben und Muttern, andere waren, von Insekten abgesehen, leer. Tyrin hatte nie jemanden hinuntersteigen sehen; alles Material, das man wirklich brauchte, war achtern gelagert.
Er wählte einen Moment, als die Dunkelheit sich herabsenkte und die meisten Besatzungsmitglieder und Offiziere beim Abendessen waren. Er ging in seine Kabine, packte seinen Seesack und kletterte die Leiter zum Deck hinauf. Dann nahm er eine Taschenlampe aus einem Kasten unterhalb der Brücke, knipste sie aber noch nicht an.
Laut Kalender hätte Vollmond sein müssen, doch der Mond versteckte sich hinter dichten Wolken. Tyrin schlich nach vorn und hielt sich am Schandeckel fest, wo seine Silhouette sich am wenigsten gegen das graue Deck abheben würde. Etwas Licht fiel zwar von der Brücke und dem Ruderhaus her ein, aber die diensthabenden Offiziere würden das Meer, nicht das Deck beobachten. Kalter Schaum spritzte über ihn hinweg, und während die Coparelli ihr berüchtigtes Schlingern vollführte, mußte er sich mit beiden Händen an die Reling klammern, um nicht über Bord geschwemmt zu werden. Manchmal schöpftesie Wasser – nicht viel, aber genug, um in Tyrins Seestiefel zu sickern und seine Füße frieren zu lassen. Er hoffte inbrünstig, nie erfahren zu müssen, wie sie sich in einem richtigen Sturm verhielt.
Total durchnäßt und zitternd vor
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