Dreifach
donnerte auf den Marktplatz und hielt an. Hassan verabschiedete sich.
Er wanderte langsam durch die leeren Straßen, während die Sonne begann, die Nachtkühle zu vertreiben. Genußvoll atmete er die saubere Luft ein, erfreute sich an den niedrigen weißen Gebäuden, an jeder Einzelheit und schwelgte in der Sehnsucht nach seiner Kindheit: Er war in Palästina, er war zu Hause.
Man hatte ihm genau beschrieben, welches Haus ohne Nummer in einer Straße ohne Namen er aufsuchen müsse. Es stand in einem ärmeren Viertel, wo die kleinen Steinhäuser zu eng aneinanderstanden und niemand die Straßen fegte. Eine Ziege war vor dem Haus angebunden, und er überlegte kurz, was sie fressen mochte, denn es gab kein Gras. Die Tür war unverschlossen.
Hassan zögerte einen Moment und unterdrückte die Erregung, die ihn überwältigen wollte. Er war zu lange fortgewesen. Viele Jahre hatte er auf diese Gelegenheit gewartet, sich für das zu rächen, was sie seinem Vater angetan hatten. Er hatte das Exil ertragen, er hatte geduldig ausgeharrt und seinen Haß lange genug genährt, vielleicht zu lange.
Er trat ein.
Auf dem Boden schliefen vier oder fünf Menschen. Einer von ihnen, eine Frau, öffnete die Augen, sah ihn undsetzte sich sofort auf. Ihre Hand schob sich unter das Kissen, vielleicht einer Pistole entgegen.
»Was wollen Sie?«
Hassan nannte den Namen des Mannes, der die Feddajin befehligte.
*
Mahmud hatte nicht weit von Yasif Hassan entfernt gewohnt, als sie beide in den späten dreißiger Jahren Kinder gewesen waren, aber sie waren einander nie begegnet oder erinnerten sich jedenfalls nicht aneinander. Nach dem Krieg in Europa hütete Mahmud mit seinen Brüdern, seinem Vater, seinen Onkeln und seinem Großvater Schafe, während Yasif in England studierte. Ihr Leben hätte sich weiterhin ganz verschieden entwickelt, wenn nicht der Krieg von 1948 gewesen wäre. Mahmuds Vater traf wie der Yasifs die Entscheidung, alles einzupacken und zu fliehen. Die beiden Söhne – Yasif war ein paar Jahre älter als Mahmud – freundeten sich im Flüchtlingslager an. Mahmuds Reaktion auf den Waffenstillstand war noch heftiger als die Yasifs, was paradox schien, da Yasif mehr verloren hatte. Aber Mahmud war von so starkem Zorn besessen, daß er an nichts anderes denken konnte, als für die Befreiung seiner Heimat zu kämpfen. Bis dahin hatte er sich nicht um Politik gekümmert, da sie für Schafhirten keine Bedeutung hatte. Nun bemühte er sich, sie zu verstehen. Doch zunächst mußte er sich selbst das Lesen beibringen.
Sie trafen sich in den fünfziger Jahren wieder. In Gaza. Inzwischen war Mahmud aufgeblüht, wenn dies das richtige Wort für einen so grimmigen Mann war. Er hatte Clausewitz und Platos Staat, Das Kapital und Mein Kampf, Keynes, Mao, Galbraith und Gandhi, Geschichte und Biographien, klassische Romane und moderne Theaterstükke gelesen. Er sprach gut englisch, schlecht russisch undein wenig kantonesisch. Mahmud war der Anführer einer kleinen Gruppe von Terroristen, die Ausfälle nach Israel machten, Bomben legten, schossen und stahlen und dann wieder in den Gaza-Lagern verschwanden wie Ratten in einer Mülldeponie. Die Terroristen erhielten Geld, Waffen und Information aus Kairo, Hassan gehörte für kurze Zeit zu den Geheimdienstleuten, die mit ihnen zusammenarbeiteten. Als sie sich wiederbegegneten, gestand Yasif Mahmud, wem er sich letzten Endes verpflichtet fühlte – nicht Kairo, nicht einmal der panarabischen Sache, sondern einzig und allein Palästina.
Yasif war bereit gewesen, sofort alles aufzugeben – seine Arbeit in der Bank, seine Wohnung in Luxemburg, seine Rolle im ägyptischen Geheimdienst – und sich den Freiheitskämpfern anzuschließen. Aber Mahmud hatte es ihm verboten – die Aura des Befehlshabers paßte ihm schon wie ein maßgeschneiderter Mantel. In ein paar Jahren – er blickte weit in die Zukunft – werde man genug Guerillas haben, doch man werde immer noch Freunde in hohen Ämtern, europäische Verbindungen und den Geheimdienst benötigen.
Sie hatten sich noch einmal in Kairo getroffen und ein Kommunikationssystem eingerichtet, das die Ägypter umging. Seinen Vorgesetzten im Geheimdienst machte Hassan etwas vor: weniger scharfsinnig zu sein, als er war. Zuerst hatte er ungefähr die gleichen Informationen hierhergesandt wie sie Kairo von ihm erhielt, hauptsächlich die Namen loyaler Araber, die ein Vermögen in Europa anlegten und deshalb um Zuschüsse angegangen werden konnten.
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