Dreifach
Euratom. Aber alles Uran, von dem der Computer wußte, unterlag einem strengen Kontrollsystem und war deshalb äußerst schwer zu stehlen. Während er in dem unaufgeräumten kleinen Büro saß und zusah, wie der selbstgefällige Herr Pfaffer in seinen alten Pressemitteilungen wühlte, dachte Dickstein: Wenn du wüßtest, was ich vorhabe, du kleiner Bürokrat, würdest du an die Decke gehen. Er unterdrückte ein Grinsen, und seine Laune besserte sich ein wenig.
Pfaffer reichte ihm ein hektographiertes Blatt. Dickstein faltete es und steckte es in die Tasche. »Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
»Wo wohnen Sie?«
»Im ›Alfa‹, dem Bahnhof gegenüber.«
Pfaffer begleitete ihn zur Tür. »Viel Spaß in Luxemburg.«
»An mir soll’s nicht liegen«, sagte Dickstein und schüttelte ihm die Hand.
*
Dickstein half seinem Gedächtnis durch einen Trick nach. Er hatte ihn als kleines Kind gelernt, als er mit seinem Großvater in einem muffigen Zimmer über einem Pastetengeschäft in der Mile End Road gesessen und sich bemüht hatte, die seltsamen Zeichen des hebräischen Alphabets wiederzuerkennen. Es gelang, wenn er sich auf einprägsame Formmerkmale beschränkte und alles andere außer acht ließ. Genau das hatte Dickstein mit den Gesichtern des Euratom-Personals getan.
Er wartete am späten Nachmittag vor dem Jean-Monnet-Gebäude und beobachtete die Menschen, die sich nach Hause aufmachten. Einige interessierten ihn ganz besonders. Sekretärinnen, Boten und Kaffeekocherinnen waren ihm gleichgültig, ebenso wie hohe Verwaltungsbeamte. Er brauchte die Leute dazwischen: Computerprogrammierer, Bürovorsteher, Leiter kleiner Abteilungen, persönliche Assistenten und stellvertretende Chefs. Er hatte den vermutlichen Kandidaten Namen gegeben, die ihn an ihr einprägsamstes Merkmal erinnerten: Diamanta, Steifkragen, Tony Curtis, Ohne Nase, Schneekopf, Zapata, Fettarsch.
Diamanta war eine mollige Frau Ende dreißig, ohne Ehering. Ihr Name leitete sich von dem hellen Glitzern ihrer Brillengläser ab. Dickstein folgte ihr zum Parkplatz, wo sie sich auf den Fahrersitz eines weißen Fiat 500 zwängte. Sein gemieteter Peugeot war in der Nähe abgestellt.
Sie überquerte den Pont-Adolphe, fuhr schlecht, jedoch langsam ungefähr fünfzehn Kilometer nach Südosten und erreichte schließlich ein kleines Dorf namens Mondorf-les-Bains.Dort parkte sie in dem gepflasterten Hof eines quadratischen luxemburgischen Hauses, dessen Tür mit Nägeln beschlagen war. Sie schloß die Tür auf. Das Dorf hatte Thermalquellen und war eine Touristenattraktion. Dickstein hängte sich eine Kamera um den Hals und schlenderte umher, wobei er mehrere Male an Diamantas Haus vorbeikam. Einmal sah er – durch ein Fenster –, wie Diamanta einer alten Frau eine Mahlzeit servierte.
Der kleine Fiat blieb bis nach Mitternacht, als Dickstein wegfuhr, vor dem Haus geparkt.
Es war eine schlechte Wahl gewesen. Diamanta war eine unverheiratete Frau, die mit ihrer alten Mutter zusammenlebte, weder reich noch arm war – das Haus gehörte wahrscheinlich der Mutter – und offenbar keine Laster hatte. Wäre Dickstein ein anderer gewesen, hätte er vielleicht versucht, sie zu verführen; einen anderen Weg gab es nicht, sie in die Hand zu bekommen.
Er kehrte enttäuscht und deprimiert in sein Hotel zurück – was unvernünftig war, denn aufgrund seiner Informationen war die Wahl Diamantas die bestmögliche gewesen. Trotzdem hatte er sich mit dem Problem einen ganzen Tag lang befaßt und wollte ihm endlich zu Leibe rücken, damit seine vagen Sorgen endlich ihre Rechtfertigung fänden.
Auch in den nächsten drei Tagen blieb er erfolglos. Zapata, Fettarsch und Tony Curtis erwiesen sich als Nieten.
Aber Steifkragen war genau der Richtige.
Er war etwa so alt wie Dickstein, ein schlanker, eleganter Mann im dunkelblauen Anzug mit schlichter blauer Krawatte und einem weißen Hemd mit gestärktem Kragen. Sein dunkles Haar, ein wenig länger als üblich für einen Mann seines Alters, wurde an den Schläfen grau. Er trug handgefertigte Schuhe.
Steifkragen ging vom Büro über die Alzette und bergan in die Altstadt. Er schritt eine schmale Pflasterstraße hinunter und betrat ein altes terrassenförmiges Haus.Zwei Minuten später ging ein Licht unter dem Dach an. Dickstein vertrieb sich zwei Stunden lang die Zeit.
Als Steifkragen wieder herauskam, trug er eine enganliegende helle Hose und einen orangefarbenen Schal. Sein Haar war nach vorn gekämmt, was ihn jünger
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