Dreifach
Kreditkarten verlöre, wäre das äußerst unangenehm. Er nahm die Banknoten aus der Brieftasche und bot sie den beiden an. »Ich brauche meine Papiere. Wenn ihr euch mit meinem Geld begnügt, zeige ich euch nicht an.«
Der Junge vor ihm riß die Scheine an sich. Der hinter ihm sagte: »Die Kreditkarten.« Der Junge vor ihm war der Schwächere. Dickstein blickte ihn scharf an und fragte: »Warum hörst du nicht auf, solange das Glück aufdeiner Seite ist, Söhnchen?« Dann ging er weiter und schob sich an der Außenkante des Bürgersteigs an dem Jungen vorbei.
Ledersohlen trommelten kurz auf dem Asphalt, als sich der andere auf Dickstein stürzte. Jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit, wie die Begegnung enden konnte. Dickstein wirbelte herum, packte den Fuß des Jungen, der zutreten wollte, zog, drehte und brach den Knöchel des Angreifers. Der Junge schrie vor Schmerz auf, fiel zu Boden und blieb liegen.
Jetzt sprang der mit dem Messer auf Dickstein zu. Dieser wich leichtfüßig zurück, trat gegen das Schienbein des Jungen, wich wieder zurück und trat noch einmal zu.
Der Junge führte einen Stoß mit dem Messer. Dickstein wich aus und trat zum drittenmal gegen genau dieselbe Stelle. Ein Geräusch wie von einem brechenden Knochen, und der Junge sackte zu Boden. Dickstein blieb einen Moment lang stehen und betrachtete die beiden verletzten Räuber. Er fühlte sich wie ein Vater, dessen Kinder ihm so lange zugesetzt hatten, bis ihm nichts anderes übrigblieb, als sie zu schlagen. Warum habt ihr mich dazu gezwungen? dachte er. Sie waren tatsächlich Kinder – vielleicht siebzehn Jahre alt. Die beiden waren bösartig, denn sie machten Jagd auf Homosexuelle. Aber genau das hatte Dickstein an diesem Abend auch getan.
Er ging weiter. Es war ein Abend, den er vergessen wollte. Am Morgen würde er die Stadt verlassen.
*
Wenn Dickstein an der Arbeit war, blieb er so oft wie möglich in seinem Hotelzimmer, um nicht gesehen zu werden. In solchen Phasen hätte er zum schweren Trinker werden können, aber es war unklug, während eines Einsatzes zu trinken – Alkohol ließ die Wachsamkeit abstumpfen –, und zu anderen Zeiten verspürte er kein Bedürfnisnach Alkohol. Viele Stunden verbrachte er damit, aus dem Fenster zu schauen oder vor einem flimmernden Bildschirm zu sitzen. Er ging nicht in den Straßen spazieren, saß nicht in Hotelbars und aß nicht einmal in Hotelrestaurants, sondern nahm immer die Zimmerbedienung in Anspruch. Aber auch seine Vorsichtsmaßnahmen hatten ihre Grenzen. Er konnte sich nicht unsichtbar machen. Im Foyer des Alfa-Hotels in Luxemburg stieß er auf jemanden, der ihn kannte.
Dickstein stand an der Rezeption und meldete sich ab. Er hatte die Rechnung geprüft, eine Kreditkarte auf den Namen Ed Rodgers vorgelegt und wartete darauf, den American-Express-Abschnitt zu unterzeichnen, als eine Stimme hinter ihm auf englisch sagte: »Mein Gott! Das ist doch Nat Dickstein, oder?«
Es war der Moment, den er gefürchtet hatte. Wie jeder Agent, der falsche Papiere benutzt, lebte er in ständiger Angst davor, zufällig jemanden aus seiner fernen Vergangenheit zu treffen, der ihn demaskieren könnte. Das hier war der Alptraum mit den Polizisten, die riefen: »Sie sind ein Spion!« und dem Gerichtsvollzieher, der darauf beharrte: »Aber deine Mutter ist zu Hause. Ich habe durchs Fenster geschaut und gesehen, wie sie sich unter dem Küchentisch versteckte.«
Wie jeder Agent war er auf diesen Augenblick vorbereitet worden. Die Regel war einfach: Wer es auch ist, du kennst ihn nicht . In der Schule mußte man es üben. Man erhielt den Befehl »Heute sind Sie Chaim Meyerson, Maschinenbaustudent« und so weiter. Dann mußte man umhergehen, seine Arbeit verrichten und Chaim Meyerson sein; spät am Nachmittag wurde dafür gesorgt, daß man auf seinen Cousin, seinen alten Professor oder einen Rabbi stieß, der die ganze Familie kannte. Beim erstenmal lächelte man immer, grüßte und unterhielt sich kurz über alte Zeiten. Am Abend erfuhr man dann von seinem Lehrer, daß man tot war. Schließlich lernte man, altenFreunden direkt in die Augen zu blicken und zu sagen: »Wer, zum Teufel, sind Sie?«
Dicksteins Training machte sich jetzt bemerkbar. Er blickte zuerst den Angestellten an der Rezeption an, bei dem er sich gerade unter dem Namen Ed Rodgers abmeldete. Der Angestellte reagierte nicht. Vermutlich begriff er nicht, hatte nichts gehört oder verhielt sich gleichgültig.
Eine Hand tippte an Dicksteins
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