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Dreihundert Brücken - Roman

Dreihundert Brücken - Roman

Titel: Dreihundert Brücken - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernardo Carvalho
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günstigeren Preis auswechseln lassen. Roman sagt, die Mutter komme um sieben Uhr abends zurück. Und dass sie meistens auch morgens bis zehn Uhr da sei. Der Arbeiter bedankt sich und sagt, er komme ein anderes Mal wieder.
    Als Anna nach Hause kommt, sagt Roman nichts von dem Mann, der nach ihr gefragt hat. Erst beim Abendessen fällt es ihm ein. Doch da, so zwischendurch, hört die Mutter ihm nicht zu. Sie unterhält sich mit ihrem Mann über die Arbeiten an der Fassade, die sich anscheinend über Monate hinziehen werden. Sie ist außer sich. Doch im Grunde bieten ihr die Bauarbeiten nur den Vorwand, über anderes zu klagen.
    »Was nützt es, wenn die Fassade renoviert wird, aber drinnen alles so marode bleibt?«
    Dimitri streicht sich über den kahl rasierten Schädel und antwortet nicht. Er isst seinen Borschtsch weiter und macht dabei Geräusche, die sie noch mehr aufbringen, während sie ihre Suppe löffelt. Insgeheim ärgert er sich. Als reichte nicht schon, was er, bevor sie nach Hause kam, in Maxims Computer entdeckt hat, und dass er beschlossen hat, ihr nichts davon zu erzählen, um ihr weiteren Kummer zu ersparen. Nun muss er sich auch noch ihre Klagen anhören. Anna springt von einem Thema zum nächsten. Das macht sie immer, wenn sie gereizt ist. Sie spricht von längst Vergessenem. Eins gibt das andere. Wenn sie von ihrer Schwester spricht, die als Mathematikerin nur so strotzt vor praktischer Intelligenz, die ihr selbst fehlt, und vielleicht gerade deshalb heute in New York lebt, während sie, Anna, noch immer hier am Ende der Welt hockt, dann klingt darin immer dieselbe Klage an, so als hätte die Ehe sie von dem ihr naturgemäß bestimmten Weg abgebracht, als hätte sie wegen ihres Mannes, der beim Geheimdienst arbeitet, auf ein Leben in Amerika verzichtet; dabei kann sie ihm nur dankbar sein, denn er war ihre Rettung. Sie will wissen, wann sie die Schwester in New York besuchen können. Dimitri atmet tief aus und antwortet in halb ironischem, halb resigniertem Ton, als erklärte er einem Kind zum wiederholten Mal ein rundum selbstverständliches und vernünftiges Verbot.
    »Solange ich meine Stelle habe, darf ich nicht ins Ausland. Das weißt du genau. Wir haben es gemeinsam entschieden. Oder hast du das schon vergessen? Wir waren uns einig, als ich die Stelle angenommen habe, oder etwa nicht? Wegen des Gehalts, erinnerst du dich? Ich konnte nicht mein Leben lang auf derselben Stelle sitzen und dasselbe verdienen, mit den Kindern schon gar nicht. Und wer soll für den da« – er weist auf Roman – »aufkommen, bis er mit dem Studium fertig ist? Es wäre gut, wenn du dich daran gewöhnen könntest. Ins Ausland darf ich erst frühestens fünf Jahre, nachdem ich die Stelle aufgegeben habe, das ist Vorschrift, und aufgeben kann ich die Stelle erst, wenn er mit dem Studium fertig ist. Es sei denn, ich werde entlassen. Hätte ich gewusst, dass Maxim alles hinschmeißt, dann hätte ich längst nicht all diese Opfer auf mich genommen.«
    Anna tut, als hätte sie nicht zugehört, sie sagt, so funktioniere es nicht, der FSB könne nicht verhindern, dass Staatsgeheimnisse an fremde Mächte verraten werden, indem er seinen Mitarbeitern verbietet, für ein Wochenende nach Helsinki zu fahren, wie sie es früher, bevor Dimitri diese Stelle antrat, dreimal im Jahr gemacht haben. Er ist diese Diskussion leid, die immer dann wiederkommt, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Was bei ihr nicht in Ordnung ist, weiß er nicht, doch für ihn ist das, was er in Maxims Computer entdeckt hat, nicht in Ordnung. Und zwar so wenig, dass er es lieber gar nicht erst anspricht.
    Auch Anna hätte allen Grund, den Mund zu halten und sich nicht noch mehr Probleme einzubrocken. Sie steht unter Strom. Sie braucht gar nicht erst zu versuchen, ihre Nervosität zu kaschieren. Und deshalb redet sie einfach drauflos, um sich abzulenken. Sie richtet ihre Gereiztheit auf abgedroschene Themen oder solche, die nicht zur Diskussion stehen, wie Dimitris Arbeit, weil sie vergessen will, was sie tatsächlich quält. Sie spricht, obwohl sie besser schweigen sollte. Vor fünf Tagen, als ihr älterer Sohn mal wieder abgetaucht ist, ist auch der Brief verschwunden, den sie auf der Hauptpost abgeholt und dann, wie sie sich fast ganz sicher ist, in dieselbe Schublade gesteckt hat, in der sie auch Geld aufbewahrt. Sie hat schon die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt, ihn aber nicht gefunden, den Brief aus Inguschetien, dessen Herkunft sie dem Amtsleiter

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