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Dreihundert Brücken - Roman

Dreihundert Brücken - Roman

Titel: Dreihundert Brücken - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernardo Carvalho
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gegen die Wand. Er versetzt Andrej einen Schlag. Doch bevor das Ganze zu einer Schlägerei ausartet, trennt eine Gruppe junger Leute sie und setzt Andrej vor die Tür.
    Er geht, den Bahngleisen folgend, über den Ligowski-Prospekt zum Bahnhof zurück. Der Boden schwankt noch immer unter seinen Füßen, als würde die Stadt bombardiert. Er befindet sich wieder fast auf Höhe des Bahnhofs, als er an einem Paar vorbeikommt, das mit seinem Gepäck an einer Ecke steht, einen Reiseführer aufgeschlagen in den Händen, und sich zu orientieren versucht. Sie sind mit dem Zug aus Moskau gekommen. Andrej bleibt an der Ecke stehen, bevor er die Straße überquert. Im ersten Moment glaubt er, es seien Amerikaner und sie sprächen Englisch. Doch plötzlich hat er das Gefühl, die Sprache seiner Kindheit zu erkennen, die Sprache des Vaters, die er nur zum Teil versteht. Es sind Brasilianer. Er überquert die Straße und beobachtet sie aus der Entfernung. Er wartet ab, bis sie sich wieder in Bewegung setzen. Die Touristen kommen über die Straße und gehen an ihm vorbei, ohne zu merken, dass sie beobachtet werden. Sie suchen nach dem Eingang zur Metro. Er geht hinter ihnen her, gebannt von der fernen Sprache, die er nicht beherrscht, aber fühlt. Nur zwei von fünf Wörtern haben für ihn einen Sinn, und dennoch ist es die Sprache seiner Kindheit. Er folgt ihnen auf Abstand, um der Erinnerung willen. Und als er überhaupt nicht damit rechnet, als er keinerlei Möglichkeit hat zu reagieren, sieht er, dass auch der Dieb vor ihm geht, zwischen den Touristen und ihm. Er ist von irgendwo aufgetaucht, wahrscheinlich aus einer Gasse, und folgt dem Touristenpärchen. Schreien, um sie zu warnen, wäre Selbstmord vor einem Bahnhof, der von Polizisten bewacht wird, die bei kleinen Delikten die Augen zudrücken, doch nur, solange diese nicht ihren eigenen Interessen in die Quere kommen. Es ist wie ein Traum, in dem die Stimmen lautlos sind, und wenn man noch so laut schreit. Also beschließt er zu laufen. Er nähert sich dem Taschendieb, fest entschlossen, ihn von hinten umzurempeln. Doch bevor Andrej ihn eingeholt hat, dreht sich der Dieb zu ihm um, als ahnte er etwas, und ihre Blicke treffen sich. Es ist Hass auf beiden Seiten, doch für Rache ist keine Zeit. Der Dieb sieht, dass der Rekrut auf ihn zuläuft, und verschwindet von der Bildfläche. Ehe er sich besinnt, ist Andrej ihm wieder auf den Fersen, so gut er es in seinem Zustand kann, betrunken, auf schwankendem Boden wie bei einem Bombardement, verfolgt ihn in dem Labyrinth von ineinander übergehenden Innenhöfen.
    Sie schlagen sich durch Gassen und Torwege. Und vielleicht, weil er sich in einem Zustand befindet, in dem er nicht mehr unterscheiden kann, ob er selbst läuft oder die Welt um ihn herum, lässt Andrej sich abermals von der Gestalt überraschen, die sich plötzlich auf ihn stürzt und ihn gegen eine dunkle Wand schleudert. Er kann kaum ei nen Gedanken fassen, da hindert ihn erneut der Arm des Taschendiebes an jeder Bewegung und drückt ihm die Kehle zu. Er bekommt kaum Luft. Für Worte ist hier kein Platz. Und während die Minuten verstreichen, versetzen die Ängste, die der Ort auslöst, und die Gefahr, dass die Polizei kommt und sie dorthin zurückschickt, wohin sie nicht zurück wollen, sie beide in eine Notlage, die es ihnen durch einen instinktiven, stillschweigenden Pakt gleichzeitig leichter macht zu handeln. Im Prinzip ist Andrej zurückgekommen, um sich zu holen, was er hier hat lassen müssen. Der Dieb begreift und fühlt mit dem Opfer, nachdem er sich zunächst über seine Dreistigkeit geärgert hat. Es gibt nichts zu erklären. Was sie zueinander sagen würden, und sei es nur, um zunächst den Schein zu wahren, hat hier keine Funktion mehr. Ihre Verständigung findet parallel zu den Worten statt, sie wird in den Bewegungen ausgedrückt. Während der Dieb ihn von hinten packt und ihm den Hals zudrückt, so dass er fast erstickt, kommt er mit den Lippen Andrejs linkem Ohr näher. Doch dieses Mal flüstert er nichts. Sein Atem genügt. Andrej reagiert nicht. Die Hand, mit der er vier Tage zuvor noch versucht hatte, sich dem Dieb zu entwinden, berührt ihn nun lediglich und ruht auf seinem Oberschenkel. Er spürt, dass der Druck auf den Hals nachlässt, und dreht, immer noch von dem Taschendieb im Schwitzkasten gehalten, vorsichtig den Kopf, bis ihre halb geöffneten Lippen auf gleicher Höhe sind. Ein neues Wissen stellt sich zwischen ihnen ein. Ein Erkennen, ein

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