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Dreihundert Brücken - Roman

Dreihundert Brücken - Roman

Titel: Dreihundert Brücken - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernardo Carvalho
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sieht ihn an und lächelt.
    »Aber du hast weder Bart noch Haare. Ist das dein Bruder?«
    »Nein.« Und eine Sekunde später: »Mein Freund.«
    Erst als sie ihm den siebten Stock nennt, nimmt Andrej die Stimmen wahr.
    »Wo der Lärm herkommt«, sagt sie.
    Je höher er hinaufkommt, desto deutlicher wird das Geschrei. Auf jeder Etage gibt es drei Türen. Er bleibt vor der Tür stehen, hinter der gestritten wird. In einer Sprache, die er nicht versteht. Er will sich zurückziehen und geht schon die ersten Stufen hinunter, da hört er den dumpfen Aufprall eines Körpers, der in der Wohnung gegen eine Wand geschleudert wird. Er fängt an zu zittern. Dreht sich um und steigt die wenigen Stufen wieder hinauf, die ihn von der Tür trennen. Der Streit ist in physische Gewalt ausgeartet. Menschen prügeln sich in der Wohnung. Sie schreien noch immer in einer Sprache, die er nicht versteht. In seiner Hilflosigkeit hämmert er gegen die Wohnungstür. Drinnen tritt plötzlich Stille ein. Ein paar Sekunden vergehen. Der Mann, der öffnen kommt, fragt, was er will. Er hat gerötete Augen und Goldzähne. Bei halb geöffneter Tür dreht er sich zu jemandem um, der in der Wohnung nach ihm ruft. Andrej hat keine Ahnung, welche Sprache das ist.
    »Sie machen zu viel Krach«, sagt er zitternd, als wäre er ein Nachbar, der sich beschwert.
    Der Mann mit den Goldzähnen dreht sich zu den anderen, hinter ihm Verborgenen um und sagt etwas Unverständliches. Andrej nutzt die Gelegenheit und späht durch den Türspalt in die Wohnung. Der Taschendieb liegt mit blutender Stirn auf dem Boden.
    »Wenn Sie nicht aufhören, rufe ich die Polizei«, sagt er nervös und hält sich, schon halb auf dem Rückzug, am Treppengeländer fest.
    Der Mann berät sich mit den anderen in seiner Sprache. Er knallt die Tür zu. Auf der Treppe hört Andrej noch ein paar Sätze. Aber nun ist kein Streit mehr zu hören und auch keine Schläge. Keine zwei Minuten später geht die Tür wieder auf, und sie werfen den Taschendieb hinaus. Er fällt auf die Treppe und krümmt sich.
    »Was suchst du hier? Verschwinde, bevor sie dich umbringen«, sagt er mit schmerzverzerrter Stimme.
    »Du hast dir den Kopf aufgeschlagen.«
    Der Dieb sieht den Rekruten an. Er hat eine Platzwunde auf der Stirn, und da Andrej auf der anderen Seite seiner Stirn eine Narbe hat, sehen sie sich nun, wenn sie einander gegenüberstehen, wie im Spiegel.
    »Was ist dein Problem? Bist du verrückt?«, fragt der Dieb, die Hand am Kopf, um die Blutung zu stillen. »Wenn du wegen des Geldes gekommen bist, das kannst du alles haben«, sagt er und weist auf die Wohnungstür. »Brauchst nur anzuklopfen und zu sagen, dass es dein Geld ist, dass du hergekommen bist, um dir abzuholen, was dir gehört! Na los, klopf an die Tür! Das ganze Geld, das ich beiseitegelegt hab, das ich versteckt hab, das haben sie gefunden, und jetzt ist es futsch. Geh hin und sag, dass es dir gehört! Los, sag das diesen verdammten Schweinen!«
    »Sind sie das, hier in der Wohnung?«
    »Wer, sie?«
    »Die dir deinen Pass abgenommen haben.«
    »Nein. Die hier sind wie ich. Die haben auch nichts. Die stecken in derselben Scheiße. Die machen sich gegenseitig fertig.«
    Andrej sagt zögerlich: »Ich weiß einen Platz.«
    Und dieses Mal sieht der Dieb ihn erstaunt an.
    Andrej setzt nach: »Wenn es um den Pass geht, meiner ist nichts wert. Wer will schon den Pass von einem Deserteur? Ich habe nichts mehr, was du mir klauen könntest. Wenn du willst, kannst du da wohnen, wo ich wohne.«

15.
In Moskau
    O lga sitzt im McDonald’s in der Twerskaja-Straße. Bei jedem Gast, der das Lokal betritt, blickt sie auf, in der Hoffnung, erkannt zu werden. Sie sitzt schon seit zwanzig Minuten dort, was erklärt, dass sie ein paar Sekunden geistesabwesend war. Als sie von ihrer Coca-Cola trinkt, bemerkt sie Marina Bondarewa, die in der Tür steht und sich im Lokal umsieht. Sie reckt den Hals, sucht den Blick der soeben Eingetroffenen, und als sie ihm begegnet, hebt sie zögerlich eine Hand. Gibt schüchtern ein Zeichen. Marina identifiziert sie und kommt auf sie zu. Sie begrüßen sich verlegen. Marina bemüht sich, die Atmosphäre zu lockern, sie hat Erfahrung. Sie entschuldigt sich, fragt, ob sie Olga lange hat warten lassen. Olga sagt, sie sei gerade erst gekommen, und gleich darauf, im Widerspruch dazu, sie habe geglaubt, sie würde in der Botschaft eine Ewigkeit warten müssen.
    »Die waren flinker, als ich gedacht hatte. Deshalb war ich schon

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