Dreihundert Brücken - Roman
interessierten. Wie seine Frau kam auch er gern gleich zur Sache, nannte jedoch nie einen Namen, weder von einem Forscher noch von einem Labor.
»Sie sind also Botaniker. Botaniker haben mich schon immer fasziniert. Sie haben eine praktische Ader, was vielleicht mit der Arbeit draußen zu tun hat, die wir Laborchemiker nicht kennen. Sie wissen sicherlich, dass die wissenschaftliche Forschung mit Rückschlägen und bürokratischen Hin dernissen zu kämpfen hat, die für Erkenntnisfortschritte häufig fatal sind. Wenn wir etwas zum Wohle der Menschen und für die Weiterentwicklung der Wissenschaft tun können, warum sollten wir dann die Hände in den Schoß legen? Fraglos wissen Sie auch, dass es keine wissenschaftliche Forschung ohne Budget gibt und dass, ob wir es wollen oder nicht, die großen Labore über dieses Geld verfügen. Pragmatik ist das Heilmittel gegen Rückständigkeit. Sagen Sie mir, was ist besser: dass alle, die ein Mittel gegen tödliche Krankheiten entdecken, für ihren kostbaren Beitrag zum Wohl der Menschheit entschädigt werden oder dass die Krankheiten sich weiterhin auf der Welt ausbreiten, während wir machtlos mit ansehen müssen, wie man direkt vor unseren Augen mögliche Heilmittel vor sich hinmodern lässt und es kompetenten Fachleuten verwehrt, ihre therapeutischen Eigenschaften zu wecken, und dies einzig und allein aufgrund verantwortungsloser, mörderischer protektionistischer Hürden? Und zwar so lange, bis das gesamte Potential ausgeschöpft ist. Wenn alle Menschen auf der Welt von den Kenntnis sen der Wissenschaft profitieren können, warum sollte man dann kompetenten Wissenschaftlern, nur weil sie aus anderen Ländern stammen, den Zugang zum Material für eine Arbeit verwehren, die sich weltweit auswirken kann? Auf welcher Grundlage? Aufgrund eines engstirnigen Nationalismus? Persönlicher Interessen einiger korrupter Politiker? Wie lange wollen sie noch warten? Bis sie den gesamten Urwald abgebrannt haben? Wir haben es auf legalem Weg versucht. Herrschte in Ihrem Land nicht diese Paranoia, wäre das alles nicht nötig.«
Während Monsieur Collin redete, in einem langsamen, rhythmischen Französisch, damit der Ausländer ihn verstand (der ihm trotzdem nur mit Schwierigkeiten folgen konnte), machte Suzanne ihm diskret Avancen. Ihre Blicke waren unmissverständlich. Im Verlauf ihres Verhältnisses, das in einem Hotel im Zentrum von Belém seinen Anfang nahm, erfuhr Alexandres Französisch eine so verdächtig spürbare Verbesserung, dass dies einen eifersüchtigeren Ehemann misstrauisch gemacht hätte. Selbst Alexandres Wortschatz entsprach bald dem der Frau. Doch Monsieur Collin war, wie er bereits zu verstehen gegeben hatte, nicht an Entdeckungen interessiert. Ihn interessierte nur ihr Marktwert. Die Eskapaden seiner Frau hätten nur dann seinen Argwohn erregt, wenn sich daraus ein künftiges Geschäft hätte entwickeln können, an dem er nicht beteiligt gewesen wäre. Das war jedoch nicht der Fall.
Während der zwei Jahre, in denen er für diesen Mann arbeitete, hatte Alexandre wesentlich mehr über Ausbeutung und menschliches Elend gelernt als in all den Jahren seines politischen Engagements, des Lebens im Untergrund und im Exil. Nichts von dem, was er Büchern entnommen und auf Versammlungen und Gewerkschaftsveranstaltungen wiedergegeben hatte, reichte auch nur annähernd an dieses Exempel menschlichen Abschaums heran. Und das Schlimmste war, dass Alexandre, wie ihm schließlich die Frau sagte, die er mit diesem Mann teilte, nicht besser und nicht schlechter war als er. Indem er sich in den Dienst der Collins stellte, hatte er bewiesen, dass er aus demselben Holz geschnitzt war. Da er aber nicht ihren Zynismus teilte, ertrug er die Last auf seinem Gewissen nur schwer. Was er voller Scham tat, hatte die gleichen Folgen wie das, was der Franzose in voller Absicht tat. Der Unterschied zwischen ihnen war, und zwar zu Alexandres Ungunsten, die Heuchelei.
Einen Monat nach ihrer Trennung – oder vielmehr, nachdem er entschieden hatte, dass sie sich nicht mehr treffen sollten – sah Alexandre sie auf dem Flughafen von Cayenne, als sie mit ihrem Mann die Heimreise nach Frankreich antrat. Seit sie sich nicht mehr trafen, vermied sie es, im Haus zu sein, wenn Alexandre zu ihnen kam. Doch wegen einer Verspätung des Flugzeugs, mit dem die Collins nach Paris fliegen sollten, stießen sie im Warteraum des Flughafens aufeinander, wo Alexandre auf den Abflug nach Belém wartete. Er grüßte
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