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Dreikönigsmord (German Edition)

Dreikönigsmord (German Edition)

Titel: Dreikönigsmord (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bea Rauenthal
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Tür war – schätzte Jo – etwa einen Meter achtzig hoch. Sie stellte sich an den Rahmen. Zwischen ihrem Kopf und dem Sturz hätte sich nur ein ungefähr handbreiter Zwischenraum befinden dürfen. Tatsächlich waren es mindestens zwanzig Zentimeter. Sie war um einen halben Kopf geschrumpft.
    »Herrin, was macht Ihr denn da?« Die Magd blickte Jo irritiert an, während sie ihr ein rundes, glänzend poliertes Metallding mit einem Stiel daran reichte. »Euer Spiegel.«
    Herr im Himmel, bis zu dieser Zeit war noch nicht einmal das Spiegelglas erfunden worden. Jo unterdrückte ein gereiztes Stöhnen. Doch als sie mit dem Spiegel an eines der Fenster trat, konnte sie sich in dem goldgelb schimmernden Metall erstaunlich gut erkennen. Das Gesicht, das ihr daraus entgegensah, besaß allenfalls eine schemenhafte Ähnlichkeit mit dem ihren. Es war runder, der Mund üppiger und breiter. Grübchen spielten in ihren Wangen. Nur die blauen Augen und die schmale, gebogene Nase erinnerten noch ein wenig an sie selbst. Ihre glatten hellblonden Haarsträhnen waren verschwunden. Stattdessen kräuselten sich honiggelbe Locken um ihren Kopf. Und das war noch nicht alles … Jo hielt den Spiegel näher an ihr Gesicht. Nein, der Lichteinfall hatte sie nicht getäuscht. Sie war jünger geworden.
    Lutz Jäger sah vorhin auch jünger aus, schoss es ihr durch den Kopf.
    »Katrein«, Jo wandte sich zögernd an die Magd, »wie alt bin ich eigentlich?«
    »Ach Herrin, habt Ihr selbst das vergessen?« Katrein seufzte. »Wir schreiben das Jahr 1380. Ihr seid im Jahr 1361, im Monat Mai am Tag der heiligen Gisela geboren worden. Also zählt ihr neunzehn Jahre.«
    Jo ließ sich auf einen Stuhl sinken. Neunzehn … In ihrem normalen Leben war sie sechsunddreißig Jahre alt. Das bedeutete, sie war siebzehn Jahre jünger als ihr wirkliches Selbst. Nein, eigentlich hatte sie sich ja um viele Jahrhunderte verjüngt. Jo hatte das Gefühl, allmählich verrückt zu werden. In dem Klostergarten, kurz bevor ich und Lutz Jäger das uralte Skelett gesehen haben, habe ich für Momente mittelalterlich gewandete Menschen erblickt, ging es ihr durch den Kopf. Wenn ich dorthin zurückkehre, werde ich vielleicht aus diesem Traum herausfinden. Es war ihre einzige Möglichkeit. Sie musste es unbedingt versuchen.
    »Herrin, fühlt Ihr Euch nicht gut?« Katrein beugte sich besorgt zu ihr.
    Sie fühlte sich ganz grauenhaft … »Wie komme ich zum Kloster Waldungen?«
    »Aber in Eurem Zustand, geschwächt wie Ihr seid, könnt Ihr unmöglich dorthin reiten.«
    Auch das noch … Natürlich, es war ja die Zeit von Pferd und Wagen … Als Kind und Jugendliche hatte Jo Reitunterricht genossen und war auch erfolgreich bei Turnieren angetreten. Obwohl sie seit einigen Jahren aus Zeitmangel kaum mehr auf einem Pferd gesessen hatte, hätte sie es sich normalerweise durchaus zugetraut, zu dem Kloster zu reiten. Aber da es ihr ständig schwindelig wurde, nahm sie davon Abstand.
    »Ich brauche einen Wagen.«
    »Es ist viel zu kalt draußen«, protestierte Katrein energisch.
    »Aber ich muss unbedingt zu dem Kloster.« Jo schossen Tränen der Verzweiflung in die Augen. »Ich kann Ihnen nicht sagen, warum. Aber es ist sehr wichtig für mich.«
    »Ach, Herrin.« Katreins Blick wurde milder. »Ich verstehe, Ihr wollt Gott dort für Eure Genesung danken und an dem Altar beten, den Euer Gatte gestiftet hat.«
    »Ähm, ja genau …« Jo schluckte.
    »Meiner Ansicht nach hätte das ja noch ein paar Tage Zeit.« Katrein schüttelte immer noch unzufrieden den Kopf. »Aber wenn Ihr ein gar so starkes Bedürfnis danach habt, werden Gott und die Jungfrau Maria Euch wohl behüten … Gut, ich werde Heinrich bitten, den Schlitten anzuspannen, und Euch dann so warm wie möglich einpacken.«
    Katrein hielt Wort: Eine Weile später saß Jo so dick eingemummt in einem Schlitten, dass sie sich unter all den Kleidungsstücken kaum noch rühren konnte. Die Dienerin hatte ihr einen Mantel, einen Umhang, mehrere Schultertücher und eine dicke Wolldecke aufgenötigt. Unter Jos Füßen befand sich ein kleines, geschlossenes Bronzebecken voll glimmender Kohlen, und ihre Hände steckten in pelzgefütterten Handschuhen. Jo hatte sich geweigert, einen Schleier anzulegen – auch wenn Katrein noch so sehr gejammert hatte, als anständige Frau müsse sie das tun. Stattdessen trug sie eine Art rostbraune Filzmütze und darüber die Kapuze ihres schweren, braunen Wollmantels.
    Jo hatte die Dienerin nur mit Mühe davon

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