Dreikönigsmord (German Edition)
Eingebung. »Wir sind doch mit der Wolle, die ich das letzte Mal bestellt habe, gut hingekommen, oder?«, wandte sie sich an den Obergesellen.
»Ja, schon …«, erwiderte dieser verblüfft.
»Dann bestellen wir doch einfach wieder die gleiche Menge.«
»Ganz, wie Ihr wünscht.« Der Händler schenkte ihr ein strahlendes Lächeln.
Die letzte Bestellung war also nicht unbeträchtlich gewesen, konstatierte Jo.
»Macht also alles Weitere mit Georg ab.« Sie wandte sich zum Gehen.
»Da wäre noch eine Sache …« Der Händler blickte sie mit schiefgelegtem Kopf an.
»Was denn?«, fragte Jo ungeduldig.
»Wollt Ihr nicht doch auch einmal Seidenstoffe weben lassen? Ich könnte Euch vorzügliches Material anbieten – zu einem guten Preis.« Er bückte sich, holte aus einer Kiste einen roten Garnstrang und reichte ihn Jo. Im Schein der Lampen leuchteten die Fäden wie eine Feuergarbe. Dennoch schmiegten sie sich weich und kühl in Jos Hand. Es war, als ob die Fäden sie streicheln würden.
»Der Herr war immer dagegen, dass wir mit Seide weben«, mischte sich der Obergeselle ein. »Er meinte, solche Stoffe seien zu kostbar für eine Weberei wie die unsere. Und überhaupt sei Seide nur unnützer Tand.«
Behutsam ließ Jo die Fäden durch ihre Finger gleiten. Das Leben war so zerbrechlich. Warum also nicht einmal Geld für etwas Kostbares und Schönes verschwenden?
»In dieser Sache bin ich anderer Meinung als Gerhardt, mein verstorbener Gatte.« Sie blickte von dem Händler zu Georg. »Wir werden nun mit Seide arbeiten.«
»Aber …«, fuhr der Obergeselle auf.
»Ich habe mich entschieden«, sagte sie scharf. »Das heißt, wenn der Preis stimmt.«
»Sechs Gulden für den Strang.« Der Händler verbeugte sich.
Jo sah Georgs Miene an, dass gegen diesen Preis nichts einzuwenden war.
»Gut.« Sie nickte.
»Und wie viele Stränge darf ich Euch liefern?«
Keine Ahnung … Jos hilfloser Blick fiel auf einen Webstuhl, der ganz in der Nähe stand und mit keinen Fäden bespannt war. »Ähm, so viel, dass auf diesem Webstuhl ein, ein …« – wie viel waren fünf Meter in Ellen? – »… ein zwanzig Ellen langer Stoff gewebt werden kann.«
Der Obergeselle sog hörbar die Luft ein, protestierte jedoch nicht.
»Wie gesagt, alles Weitere besprecht bitte mit Georg.« Jo nickte dem Händler noch bemüht würdevoll zu, ehe sie aus der Weberei hastete.
In was bin ich hier nur hineingeraten ?, dachte sie, während sie sich kurz darauf in ihrem Zimmer in den Lehnstuhl vor dem Feuer fallen ließ. Sie kramte das Wachstäfelchen aus ihrem Bündel und starrte auf die spärlichen Notizen, die sich krakelig von dem braunen Untergrund abhoben. Ein Opfer, über das so gut wie nichts bekannt war, außer dass es möglicherweise mit Ton oder Stein gearbeitet hatte. Die blauen Flusen, die an seiner Kleidung gefunden worden waren, halfen ihnen auch nicht wirklich weiter.
Plötzlich roch Jo Tannenduft. Irritiert schaute sie sich um. Die Fensterstürze waren mit frischen Zweigen und roten Bändern geschmückt. Nach einigen Momenten begriff Jo: Auch im Mittelalter hatte – wie im 21. Jahrhundert – die Vorweihnachtszeit begonnen.
Am nächsten Morgen wünschte die Köchin Jo wegen einiger Gewürze zu sprechen, die zur Neige gingen und nachgekauft werden mussten. Jo dachte mit schlechtem Gewissen an das Tütchen mit schwarzem Pfeffer, das seit gut zwei Jahren in ihrem Küchenschrank vor sich hin rottete, da sie so gut wie nie kochte, und etwa zwei Euro gekostet hatte. Im Mittelalter entsprach diesem Tütchen ungefähr der zehnfache Wert. Danach gab ihr Katrein zu verstehen, dass »ihre Herrin« nach der Morgenmahlzeit immer einen Rundgang durch die Werkstatt und die Wirtschaftsgebäude zu unternehmen pflegte – was Jo im Schnelldurchgang absolvierte –, und anschließend musste sie noch einen Streit zwischen zwei Mägden schlichten, die jeweils fanden, die andere drücke sich vor der Arbeit.
Deshalb war es bereits später Vormittag, als sie in die Gasse einbog, an der die Dombaustelle lag. Schon von weitem konnte sie das Hämmern der Steinmetze in der klaren, kalten Luft hören. Ob Lutz Jäger die Baustelle bereits aufgesucht hat, oder ob er ebenfalls in seiner Kneipe aufgehalten worden ist? Wie sollen wir es nur schaffen, miteinander in Verbindung zu bleiben und kurzfristige Absprachen zu treffen?, dachte Jo düster. Ich wäre ja schon dankbar für so etwas eigentlich Steinzeitliches wie ein Telefon mit Schnur . Von einem Handy gar
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