Dreikönigsmord (German Edition)
Schnee glitzerte im Sonnenlicht auf den Dächern sowie auf dem Boden des Hofes. Sie war davon überzeugt, dass Anselm sein Geld irgendwo im Kloster verborgen hatte. Denn an diesem Ort hatte er sich sicher gefühlt. Wenn ich Anselm gewesen wäre, überlegte Jo, hätte ich die Münzen in meiner Reichweite haben wollen. Die meiste Zeit hatte der Junge in der Scheune verbracht. Deshalb beschloss sie, ihre Suche dort zu beginnen.
In der Scheune fiel Sonnenlicht in dünnen Streifen durch die Ritzen in den Bretterwänden. Die Tischplatte und die Böcke, auf denen Lutz und sie Anselms Leiche untersucht hatten, standen in einer Ecke vor einem Stapel prall gefüllter Säcke. Der untere Teil der Scheune mit den Saatgut-Vorräten, den Feldwerkzeugen und den vielen Vorratsbehältern bot eigentlich jede Menge Verstecke. Aber Anselm hätte immer damit rechnen müssen, dass eine Nonne oder ein Knecht gerade den Korb oder die Kiste benutzen würde, in denen er seinen Schatz verborgen hatte.
Nein, sie musste sich einmal oben auf dem Heuboden umsehen, wo Anselm geschlafen hatte. Jo stieg die Leiter hinauf, wobei sie ihre Schuhe mit den klobigen Holzabsätzen verwünschte. Duftendes Heu füllte etwa die Hälfte des Bodens. Ansonsten war der riesige Raum leer, aber erfreulicherweise hell, denn die Sonne fiel in einem breiten Strahl durch die Luke oben in der Giebelwand. Ob Anselm das Geld irgendwo zwischen den getrockneten Halmen vergraben hatte? In diesem Fall hätte er sicher irgendeine Markierung hinterlassen. Sie raffte ihre Röcke und ihren Mantel hoch und ging in das Heu hinein.
Eine Stunde später hielt Jo erschöpft und frustriert inne. Sie war völlig verschwitzt und von Kopf bis Fuß mit Halmen bedeckt. Sie hatte ihre Suche bei der rückwärtigen Wand begonnen und sich etwa durch ein Viertel des gewaltigen Heubetts gearbeitet. Doch noch immer hatte sie nicht den geringsten Hinweis auf ein Versteck entdeckt. Ob sie die Äbtissin bitten sollte, ihr einige Nonnen zur Hilfe zu schicken?
Das wäre doch nun wirklich einmal ein Moment, in dem der Himmel ein Stoßgebet erfüllen könnte , dachte sie sarkastisch. Müde watete sie weiter durch das Heu. Nichts, nur gelblich-grün verfärbte Halme.
Plötzlich blendete sie ein Lichtstrahl. Sie blinzelte. Die Sonne fiel direkt auf einen der Deckenbalken. Jo sog scharf die Luft ein. Eigentlich das ideale Versteck … Rasch streifte sie ihre Holzschuhe ab und begann, an einem der Stützbalken hochzuklettern. Nach einigen kräftigen Zügen war sie auf einer Höhe mit dem Querbalken und spähte ihn entlang. Da – weniger als eine Armeslänge von ihr entfernt stand ein kleiner Lederbeutel. Während Jo ihn vorsichtig über den Holzbalken zu sich zog, hörte sie das leise Klimpern von Metall.
Als Jo die Scheune verließ, überquerte eine Nonne den Hof vor den Wirtschaftsgebäuden. Die Benediktinerin stutzte und kam dann auf sie zu. Nun erkannte Jo das junge, ovale Gesicht mit den großen blauen Augen und dem kirschförmigen Mund. Schwester Irmhild. Wenn man sich den Schleier wegdachte, war sie wirklich sehr hübsch. Warum nur verschwendet sie ihr Leben als Nonne?, fragte sich Jo.
»Mir ist noch etwas zu Anselm eingefallen«, sagte Schwester Irmhild ein wenig schüchtern.
»Ja?«
»Einige Tage, bevor er …«, sie stockte einen Moment lang, ehe sie tapfer fortfuhr, »… ermordet wurde, haben wir kurz miteinander gesprochen. Dort an dem Brunnen.« Sie wies auf einen großen Steintrog vor einem der Ställe. »Ich sollte Wasser für die Küche holen. Aber ich hatte Heimweh, und nachdem ich den Eimer heraufgezogen hatte, trödelte ich. Anselm war mir nachgekommen. Er fragte mich, ob er einen Becher von dem Wasser haben könnte. Was ich natürlich bejahte. Er bemerkte, dass ich traurig war, und fragte, was mich bedrückte. Ich erzählte ihm von der Burg, auf der ich aufgewachsen bin, von meinen Eltern und von meinen Geschwistern. Ich war einfach glücklich, mit ihm zu reden.« Die junge Nonne errötete.
»Das kann ich verstehen.« Jo lächelte.
»Anselm meinte, dass er von einem Bauernhof in der Gegend von Worms stamme. Also das ist es, was mir noch einfiel. Dass er aus dieser Gegend kam …«
»Mehr habt Ihr nicht miteinander gesprochen?«
»Nein, denn in diesem Moment läutete die Glocke zur Mittagshore.«
Nicht gerade gute Rahmenbedingungen für eine junge Liebe …
»Ich werde es Eurer Äbtissin sagen müssen, dass Ihr mit Anselm geredet habt«, meinte Jo sanft und legte Schwester
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