Dreikönigsmord (German Edition)
Irmhild die Hand auf die Schulter. »Vielleicht fällt ihr ja etwas zu dieser Information ein.«
Die junge Nonne errötete wieder und schüttelte den Kopf. »Ach, ich glaube nicht, dass mir die ehrwürdige Mutter deshalb zürnen wird«, sagte sie leise.
Die Äbtissin störte sich tatsächlich nicht daran, dass die beiden jungen Leute miteinander gesprochen hatten. Auch die Neuigkeit, dass Anselm als Lustknabe gearbeitet hatte, hörte sie sich ungerührt an. Versonnen betrachtete sie nun die Geldstücke vor sich auf dem Eichentisch.
»Zwanzig Gulden«, sagte sie. »Ein ganz schöner Batzen Geld. Ich vermute, Anselm wollte sich verzweifelt ein neues Leben schaffen und hat deshalb seinen Körper verkauft. Wobei es für den Jungen spricht, dass er trotzdem diesen anderen Lustknaben – wie hieß er noch? Frowin? – unterstützt hat.«
»Was könnte man für diese Summe kaufen?«, fragte Jo. Das mittelalterliche Geld war ihr immer noch so fremd wie eine exotische Währung mit kompliziertem Umrechnungskurs.
»Ein Pferd würdet Ihr dafür schon bekommen.« Die Äbtissin wiegte nachdenklich den Kopf. »Natürlich kein erstklassiges, wie es ein Adeliger oder ein reicher Bürger reiten würde. Aber einen guten und belastbaren Gaul.«
Nicht schlecht, überlegte Jo. Im September war Anselm zum ersten Mal in der Stadt gesehen worden. Innerhalb weniger Monate hatte er sich also als Lustknabe in etwa den Gegenwert eines Volkswagens erarbeitet. Dieser Freier, der Anselm zu sich bestellt hatte, musste wirklich begütert sein.
»Denkt Ihr, dass der Junge wegen des Geldes getötet wurde?« Die Äbtissin sah Jo aufmerksam an.
Diese ließ sich etwas Zeit mit der Antwort. »Mein Gefühl sagt mir: nein«, erwiderte sie schließlich. »Außerdem, warum hätte der Mörder Anselm in diesem Fall an der Stelle töten sollen, wohin der Lichtschein aus der Apsis fiel? Ein Geldbeutel hätte sich auch im Dunkeln gut ertasten lassen.«
»Ein durchaus logisches Argument.« Die Äbtissin lächelte ein wenig. »Aber eigentlich sagt Euch Euer Gefühl, was richtig ist. Auch wenn Ihr Schwierigkeiten habt, ihm zu vertrauen. Ich vermute, das war auch in Eurer eigenen Zeit der Fall?«
Super, eine Therapiesitzung war jetzt genau das, was sie brauchte … Abwehrend meinte Jo: »Sagt, was soll mit dem Geld geschehen?«
»Was schlagt Ihr vor?«
Jo zuckte mit den Schultern. »In meiner eigenen Zeit wäre nach Anselms Angehörigen gesucht worden. Was hier und jetzt aber kaum möglich sein wird. Ich vermute, er hätte gewollt, dass Frowin einen Teil des Geldes erhält. Und er hätte ganz sicher gewünscht, dass auch Schwester Irmhild davon bedacht würde.« Sie konnte sich nicht verkneifen, ein wenig spitz hinzuzufügen: »Auch wenn das wahrscheinlich Euren Klosterregeln widersprechen dürfte.«
»Ihr habt recht, dies würde Schwester Irmhilds Armutsgelübde verletzen.« Äbtissin Agneta ließ sich nicht provozieren. »Aber ich werde die junge Nonne fragen, ob sie möchte, dass für das Geld etwas Bestimmtes für das Kloster angeschafft wird.«
»Schön, dann werde ich die Münzen vorerst in Eurer Obhut lassen.« Jo nickte. »Da ist noch etwas, worüber ich mit Euch reden muss.« Sie berichtete der Äbtissin von ihrem kurzen Gespräch mit der jungen Nonne. »Dass Anselm aus der Gegend von Worms stammte – sagt Euch das vielleicht etwas?«, schloss sie dann.
»Diese Gegend wurde vor acht Jahren von einer schlimmen Fehde zwischen zwei Grafen heimgesucht«, erwiderte die Äbtissin nachdenklich. »Dörfer wurden niedergebrannt und Felder verwüstet. Viele Menschen starben. Das könnte erklären, warum Anselm so verstört war. Wer weiß, was er erleben musste.«
»Ja, das wäre allerdings eine Erklärung.« Jo nickte.
»Außerdem stritten sich Ebersheim und Worms wegen der Reliquie der heiligen Gertrudis, die in der hiesigen Gertrudiskirche aufbewahrt wird.«
»Reliquie?«, fragte Jo überrascht. Mit welchem abergläubischen Zeug wurde sie denn noch konfrontiert? »Worum ging es denn bei diesem Streit?«
»Worms behauptete, ein Anrecht auf diese Reliquie zu besitzen, nachdem das dortige Domkapitel einen Handschuh der Heiligen in Italien erworben hatte. Wenig später hatte eine Nonne aus einem Kloster der Stadt eine Vision. In dieser Vision forderte die heilige Gertrudis, dass ihre Reliquie am selben Ort wie der Handschuh aufbewahrt werden solle.« Die Stimme der Äbtissin klang völlig ernst.
»Ah ja …«
»Reliquien ziehen große Scharen von
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