Dreikönigsmord (German Edition)
Wallfahrern an und bringen viel Geld in die Städte. Deshalb war Ebersheim – Vision hin oder her – nicht bereit, die Reliquie an Worms zu verkaufen.«
Okay, mit den Reliquien verhält es sich also so wie mit Elvis und Memphis oder den Beatles und Liverpool und ihren jeweiligen ehemaligen Wohnstätten …
»In einer weiteren Vision erfuhr jene Nonne dann, dass die heilige Gertrudis Ebersheim nicht länger schützen würde, falls ihrem Willen nicht entsprochen würde«, sprach Äbtissin Agneta weiter. »Das brachte die Ebersheimer Geistlichkeit und den Rat der Stadt nun doch zum Nachdenken. Man verhandelte mit Worms und einigte sich. Ebersheim zahlte eine große Entschädigungssumme, womit Worms einen weiteren Handschuh der Heiligen erwerben konnte. Damit war die Heilige zufrieden.« Noch immer wirkte die Äbtissin kein bisschen ironisch.
»Na ja, zwei Handschuhe sind auf jeden Fall besser als ein einzelner«, murmelte Jo. »Sie wärmen besser …«
»Seither sind zwei Jahre vergangen.« Die Äbtissin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Für den Mord an Anselm dürfte dieser Streit also kaum von Belang sein.«
»Das hoffe ich auch …«, erwiderte Jo inbrünstig, ehe sie sich erhob und von der Äbtissin verabschiedete. Als sie die Tür erreicht hatte, glaubte sie, die alte Frau sagen zu hören: »Vertraut Eurem Gefühl«, aber vielleicht kamen ihr auch nur die Worte ihres Polizeipsychologen in den Sinn.
Lutz wich einem Reiter aus, der ihm auf dem schmalen, von hohen Schneewällen gesäumten Weg entgegenkam. Bei all den Nachteilen wie Umweltverschmutzung und verstopfte Straßen, die Autos so mit sich bringen, haben sie auch eindeutig ihre Vorteile , dachte er bitter. Mit einem Auto hätte er sein Ziel – je nach Verkehrslage – in weniger als zehn Minuten erreicht. Etwas neidisch dachte er an Jo, die reiten und einen Schlitten fahren konnte.
Vor etwa zwei Stunden war ein Fuhrmann in seiner Kneipe erschienen. Der bullige Mann hatte gesagt, er hätte von Lutz’ Wette gehört. Ja, er kenne ein Haus, dessen Türrahmen mit geschnitzten Maulbeerblättern verziert sei. Er liefere hin und wieder Holz und Wein dorthin. Es liege etwa drei Meilen flussaufwärts vor der Stadt und gehöre einem Pater namens Kolonat, der Mitglied des Domkapitels sei. Soviel er wisse, nutze der Priester das Gebäude als eine Art Sommerhaus. Lutz hatte dem Fuhrmann, falls sich seine Angaben als wahr erweisen sollten, ein Fässchen Bier versprochen. Dann hatte er sich sofort auf den Weg gemacht. Ein schwuler katholischer Priester hatte im Mittelalter eindeutig noch mehr Grund, seine Neigungen zu verbergen, als im 21. Jahrhundert. Vielleicht war hier ja das Mordmotiv zu finden.
Nachdem Lutz eine Ansammlung von Saalweiden durchquert hatte, sah er endlich das Anwesen vor sich. Es lag hinter einer hohen Mauer, wie der Fuhrmann es ihm beschrieben hatte. Ein Rauchfaden kräuselte sich in den bewölkten Himmel. Lutz’ Laune besserte sich sofort. Jemand war anwesend, den er ausfragen konnte – also waren seine Mühen wenigstens nicht umsonst gewesen.
Einer der beiden Torflügel war nur angelehnt. Der Garten hinter der Mauer war dicht verschneit. Eine Fußspur führte durch den fast kniehohen Schnee auf ein kleines, zweistöckiges Fachwerkhaus zu. Efeu rankte an der Fassade empor, bis dicht unter das Strohdach. Ein hübsches Liebesnest , dachte Lutz. Falls dies das Haus ist, nach dem wir suchen.
Als er fast die Vorderfront erreicht hatte, sah er seitlich davon einen Baum, dessen kahle Äste wie die Stangen eines riesigen Schirms in die Luft ragten. Ein Maulbeerbaum. Und tatsächlich – der Türrahmen war mit den charakteristischen herzförmigen Blättern und den brombeerartigen Früchten verziert.
Lutz betätigte den bronzenen Türklopfer. Die Schläge hallten durch das Haus. Als sich in dem Gebäude nichts regte, beschloss er, zur Rückseite zu gehen. Wahrscheinlich gab es dort noch einen Eingang. Schließlich führten auch die Fußspuren im Schnee in diese Richtung.
Zum Fluss hin hatte der Garten keine Mauer. Beerensträucher unter dichten Schneehauben und Obstbäume wuchsen auf einer Wiese, die sanft zum Wasser hin abfiel. Ganz in der Nähe eines Bootsstegs stand ein kleiner Schuppen.
Ein Stück flussabwärts entdeckte Lutz nun eine Felsengruppe in den schiefergrauen Fluten. Er erkannte plötzlich, wo er war. In seiner eigenen Zeit befand sich an genau dieser Stelle ein beliebtes Ausflugslokal. Im vergangenen Sommer war er einige Male
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